BGH XII ZB 240/14

Beschluss vom 19.09.13
Fassung InsO vor 01.07.14

Wer spielt

Schuldner begehrt Abänderung des Kindesunterhalt. 2. Runde entscheidet, Vorteil unklar, Duisburg.

Es geht um was

Verlauf

Der Antragsteller verbüßt seit Ende 2007 wegen Mordes eine lebenslange Haftstrafe im badenwürttembergischen Strafvollzug. Er geht in der Haft einer Arbeitstätigkeit nach, aus der er Einkommen erzielt. Im Zeitraum Dezember 2011 bis einschließlich Januar 2013 erhielt er insgesamt Hausgeld (€ 1.600) und Eigengeld (€ 2.200). Außerdem stand ihm ein Sondergeld von monatlich € 55 zur Verfügung.

Ergebnis

Aus dem Arbeitsentgelt für seine Tätigkeit in der Haft werden Hausgeld, Überbrückungsgeld und Eigengeld gebildet. Für Unterhaltszwecke steht regelmäßig nur das Eigengeld zur Verfügung.

Der Strafgefangene darf 3/7 des Arbeitsentgelts als sogenanntes Hausgeld verwenden. Dieser Teil seiner Einkünfte ist grundsätzlich unpfändbar und steht zu seiner freien Verfügung. Es ist grundsätzlich nicht für den Unterhalt einzusetzen.

Aus den weiteren 4/7 der Bezüge wird zum einen das sogenannte Überbrückungsgeld gebildet. Das Überbrückungsgeld sichert den notwendigen Unterhalt des Gefangenen und seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach der Haftentlassung und ist unpfändbar.

Das Eigengeld, dass nicht zum Aufbau des Überbrückungsgeldes benötigt wird, ist pfändbar. Das Geld im vorliegendne Fall könnte der Insolvenzmasse zustehen, wenn das Überbrückungsgeld bereits volständig aufgebaut ist.

Überraschungen

Der Unterhaltsgläubiger ist so lange vor anderen Gläubigern privilegiert – und kann das Eigengeld einschließlich des Überbrückunggeldes pfänden – wie das Überbrückungsgeld noch nicht in der durch § 52 Abs. 1 JVollzGB BW III (vgl. auch § 51 Abs. 1 StVollzG) bestimmten Höhe gebildet ist. Danach entfällt eine generelle Privilegierung wegen der in § 850 d Abs. 1 Satz 1 ZPO bezeichneten Unterhaltsansprüche.

Im Fall könnte das Geld der Insolvenzmasse zustehen.

Hausgeld

(…) Denn auch wenn ein Strafgefangener keine Aufwendungen für Unterkunft, Verpflegung und Bekleidung hat, übersteigt das Hausgeld nicht das Minimum, das ihm für andere notwendige Ausgaben des täglichen Lebens zu belassen ist (…).

Überbrückungsgeld

(…) Aus den weiteren 4/7 der Bezüge wird zum einen das sog. Überbrückungsgeld gebildet, das den notwendigen Unterhalt des Gefangenen und seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach der Haftentlassung sichern soll (…). Es ist unpfändbar (…), wird gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 JVollzGB BW III (…) erst bei der Entlassung ausbezahlt und steht damit während der Haft nicht zur Verfügung, so dass damit eine Unterhaltsschuld nicht beglichen werden kann. Unterhaltsrechtlich muss es daher als Einkommen des Berechtigten in dem Monat angesehen werden, in den der Zeitpunkt der Entlassung fällt und in dem es in der angesammelten Höhe ausbezahlt wird (…).

Eigengeld

(…) Der nicht für den Aufbau des Überbrückungsgeldes benötigte Teil der 4/7 des Arbeitsentgelts stellt bei Gefangenen, von denen (…) kein Haftkostenbeitrag (…) erhoben wird, das sog. Eigengeld dar (…). Dieses wird einem Eigengeldkonto gutgeschrieben. Der Anspruch des Strafgefangenen auf Auszahlung des gutgeschriebenen Eigengeldes ist – vom Ausnahmefall abgesehen, dass das Überbrückungsgeld noch nicht vollständig gebildet ist (…) – in vollem Umfang pfändbar, die Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO sind nicht anwendbar.

(…) Dass es sich bei dem Eigengeld um grundsätzlich für den Unterhalt einzusetzendes Einkommen handelt, wird – soweit ersichtlich – in Rechtsprechung und Literatur nicht in Zweifel gezogen (…). Dies ist zutreffend, denn andernfalls würde das vom Strafgefangenen erzielte Arbeitsentgelt mit allen seinen Teilen entgegen der gesetzgeberischen Intention für Unterhaltszwecke ausscheiden. (…)

(…) Das badenwürttembergische Strafvollzugsrecht sieht darüber hinaus (…) die Möglichkeit von Einzahlungen in angemessener Höhe durch Dritte vor. Diese sind dem Strafgefangenen als sog. Sondergeld gutzuschreiben und können wie Hausgeld genutzt werden. Dieses Sondergeld ist – wie das Hausgeld – unpfändbar (…).

(…) Ebenfalls zu Recht hat das Beschwerdegericht angenommen, dass der dem Antragsteller zu belassende Selbstbehalt bereits durch das ihm zustehende Hausgeld gewahrt ist.

Taschengeldansatz

(…) Auch einem Strafgefangenen muss jedoch grundsätzlich ein Bargeldbetrag verbleiben, um ihm in einem Mindestmaß die Befriedigung solcher Bedürfnisse zu ermöglichen, die über die auf Existenzsicherung ausgerichtete Versorgung durch die Justizvollzugsanstalten hinausgehen. Für die Bemessung dieses Betrags bietet sich der Rückgriff auf den Taschengeldsatz an, der einem Strafgefangenen gemäß § 53 Abs. 1 JVollzGB BW III (vgl. auch § 46 StVollzG) zusteht, wenn er ohne Verschulden kein Arbeitsentgelt und keine Ausbildungsbeihilfe erhält. Denn das Taschengeld soll dem Strafgefangenen in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens der Sozialhilfe eine solche finanzielle Mindestausstattung verschaffen (Arloth Strafvollzugsgesetz 3. Aufl. § 46 Rn. 1).

(…) Soweit das Hausgeld das monatliche Taschengeld übersteigt, hat es dem Strafgefangenen auch insoweit zur freien Verfügung zu verbleiben. Der dann etwas höhere Selbstbehalt stellt einen Arbeitsanreiz auch für unterhaltspflichtige Gefangene dar (vgl. auch Senatsurteil vom 9. Januar 2008 – XII ZR 170/05 – FamRZ 2008, 594 Rn. 26) und steht in Einklang mit dem Resozialisierungsgedanken des Strafvollzugsrechts.

(…) Erreicht dagegen das Hausgeld im Einzelfall nicht das monatliche Taschengeld (vgl. etwa die Fallgestaltung in OLG Hamm Urteil vom 26. Oktober 2010 – 2 UF 55/10 – juris), ohne dass dies dem Strafgefangenen unterhaltsrechtlich vorzuwerfen ist, ist ein ggf. vorhandenes Eigengeld dem Strafgefangenen in dem Umfang zu belassen, wie es zum Erreichen des Taschengeldes erforderlich ist. Dann ist es nur in der dieses übersteigenden Höhe für Unterhaltszwecke einzusetzen.

(…) Im vorliegenden Fall verfügt der Antragsteller nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen monatlich über ein Hausgeld von rund 114 €, mithin über einen Betrag, der das monatliche Taschengeld übersteigt. Indem ihm das Hausgeld belassen wird, ist sein notwendiger Selbstbehalt in der Strafhaft gewahrt, so dass das Eigengeld grundsätzlich in vollem Umfang für Unterhaltszwecke herangezogen werden kann. Nach den von der Rechtsbeschwerde ebenfalls nicht in Zweifel gezogenen tatrichterlichen Feststellungen liegt das Eigengeld mit monatlich rund 157 € auch deutlich über dem im Unterhaltsvergleich vereinbarten Betrag von monatlich 130 €.

(…) Gleichwohl kann die Auffassung des Beschwerdegerichts, der Antragsteller sei für den titulierten Unterhalt leistungsfähig, aus Rechtsgründen keinen Bestand haben.

Insolvenzverfahren und Restschuldbefreiung

(…) Er habe ein Verbraucherinsolvenzverfahren eingeleitet und die Restschuldbefreiung werde erst im März 2017 erfolgen, so dass seine Leistungsfähigkeit bis dahin eingeschränkt sein werde.

(…) Das Oberlandesgericht ist ohne weitere Feststellungen von bestehenden Gläubigerpfändungen ausgegangen, hat aber angenommen, dem Antragsteller sei die Berufung hierauf verwehrt, weil es einem Unterhaltsschuldner seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung möglich sei, den ohne Berücksichtigung von Schulden bemessenen laufenden Unterhalt zu zahlen und gleichwohl Restschuldbefreiung zu erlangen. Dies trifft für die vorliegende Fallgestaltung jedoch nicht zu.

(…) Richtig ist allerdings, dass es einem Unterhaltsschuldner in Anbetracht der gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB obliegen kann, eine Verbraucherinsolvenz gemäß §§ 304 ff. InsO zu beantragen. Denn aufgrund der durch die Insolvenzordnung eröffneten Möglichkeit einer Restschuldbefreiung kann ein Unterhaltsschuldner grundsätzlich seine Unterhaltsverpflichtungen bedienen und nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode Befreiung von seinen Schulden erlangen (§§ 286 ff. InsO). Aus den Vorschriften über die Insolvenzmasse (§§ 35 ff., 40 InsO) und dem Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 und 2 InsO folgt nämlich, dass dem Schuldner während der Dauer des Insolvenzverfahrens der nach § 850 c ZPO pfändungsfreie Teil seines Einkommens verbleibt. Auf dieser gesetzlichen Grundlage ist es dem Unterhaltsschuldner zumutbar, den Unterhaltsansprüchen seiner minderjährigen Kinder Vorrang vor sonstigen Verbindlichkeiten einzuräumen (…).

(…) Wie auch das Oberlandesgericht in anderem Zusammenhang erkannt hat, ist die Pfändungsschutzvorschrift des § 850 c ZPO – wie auch die des § 850 k ZPO – für das Eigengeld, das aus dem Arbeitsentgelt des im Vollzug arbeitenden Strafgefangenen gebildet wird, aber nicht einschlägig.

Eine unmittelbare Anwendung scheitert schon daran, dass die Pfändungsfreigrenzen nur für die Pfändung des in Geld zahlbaren Arbeitseinkommens selbst gelten (§ 850 Abs. 1 ZPO). Bei dem Strafgefangenen kann hingegen nur sein Anspruch auf Auszahlung seines Eigengeldes gepfändet werden, nicht aber sein Anspruch auf Gutschrift des Arbeitsentgelts. Der Pfändungsschutz des § 850 c ZPO erstreckt sich nicht auf das zur Bewirkung der geschuldeten Leistung ausbezahlte oder auf ein Konto überwiesene Geld. Vielmehr erlischt mit der als Arbeitseinkommen geschuldeten Forderung auch der bis dahin für diese Forderung bestehende Pfändungsschutz. § 850 k ZPO findet keine Anwendung, weil die kontoführende Stelle, die das Gefangenengeld bis zur Entlassung des Gefangenen verwaltet, kein Geldinstitut im Sinne dieser Vorschrift ist (…).

Eine entsprechende Anwendung der §§ 850 c, 850 k ZPO auf den Anspruch des Strafgefangenen auf Auszahlung des Eigengeldes scheidet ebenfalls aus. Denn das Schutzbedürfnis eines Schuldners, der in Freiheit lebt und ein Arbeitseinkommen hat, ist mit dem eines Schuldners, der in Strafhaft Arbeitsentgelt bezieht, nicht vergleichbar. Aus sozialen Gründen und im öffentlichen Interesse wird dem in Freiheit lebenden Schuldner, in dessen Arbeitseinkommen vollstreckt wird, in den Grenzen der §§ 850 c, 850 k ZPO ein Teil seines Einkommens pfändungsfrei belassen. Den Maßstab für die Bemessung der für die Existenz des Schuldners und für den Erhalt seiner Arbeitsfähigkeit erforderlichen Mittel bilden die Bedürfnisse eines in Freiheit lebenden und arbeitenden Menschen. Die Arbeit eines Strafgefangenen hingegen wird nach dem Mischkonzept des § 49 Abs. 1 JVollzGB BW III (vgl. auch § 43 Abs. 1 StVollzG) nicht allein durch die Zahlung von Geld, sondern auch durch Freistellung von der Arbeit anerkannt. Sein Lebensunterhalt ist ohne Rückgriff auf sein aus Arbeitsentgelt gebildetes Eigengeld gedeckt (…).

(…) Das aus dem Arbeitsentgelt gebildete Eigengeld des Strafgefangenen ist mithin auch in der Insolvenz nicht dem Gläubigerzugriff entzogen, so dass ein Antrag auf Verbraucherinsolvenz nicht zu einem automatischen Vorrang der Unterhaltsschulden führen konnte.

(…) Insbesondere führt der Umstand, dass der Strafgefangene eine – grundsätzlich mögliche (vgl. nur BGH Beschluss vom 16. Juli 2004 – IXa ZB 191/03 – FamRZ 2004, 1717, 1719) – Abtretung seines Anspruchs auf Auszahlung des Eigengeldes an das unterhaltsberechtigte Kind unterlassen hat, nicht dazu, dass ihm das dann von anderen Gläubigern gepfändete Eigengeld fiktiv als für die Erfüllung seiner Unterhaltspflicht zur Verfügung stehendes Einkommen zugerechnet werden kann (…). Dies gilt unabhängig davon, dass eine solche Abtretung vor Beantragung der Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens jedenfalls der Gefahr einer Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO unterläge und ab der Antragstellung an der für die Erlangung der Restschuldbefreiung gemäß § 287 Abs. 2 InsO erforderlichen Abtretung scheitern würde. (…)

Kein allgemeiner Vorrang

(…) Dem Unterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes kommt hinsichtlich des Eigengeldes des Strafgefangenen nach derzeitiger Rechtslage auch kein allgemeiner Vorrang vor sonstigen Gläubigern zu. Nichts anderes folgt aus dem bisher nicht gemäß § 198 Abs. 3 StVollzG durch Bundesgesetz in Kraft gesetzten § 49 StVollzG, der es dem Gefangenen ermöglichen soll, unmittelbar aus seinen Bezügen einen Unterhaltsbeitrag zu zahlen, und für den es im badenwürttembergischen Justizvollzugsgesetzbuch keine Entsprechung gibt.

(…) Den Interessen Unterhaltsberechtigter trägt nach geltendem Recht die in § 52 Abs. 5 JVollzGB BW III (…) getroffene Regelung Rechnung. Nach Maßgabe dieser Vorschrift ist bei einer Pfändung wegen der in § 850 d Abs. 1 Satz 1 ZPO bezeichneten Unterhaltsansprüche der Anspruch auf Auszahlung des Eigengeldes – ebenso wie der Anspruch auf Auszahlung des Überbrückungsgeldes – abweichend von § 52 Abs. 4 JVollzGB BW III (…) pfändbar (…). Diese Vorschrift hat zur Folge, dass der Unterhaltsgläubiger so lange vor anderen Gläubigern privilegiert auf das Eigengeld zugreifen kann, wie das Überbrückungsgeld noch nicht in der durch § 52 Abs. 1 JVollzGB BW III (vgl. auch § 51 Abs. 1 StVollzG) bestimmten Höhe gebildet ist. Ab diesem Zeitpunkt besteht hingegen kein Vorrang der Unterhaltsgläubiger mehr. Dieser Bruch in der gesetzlichen Regelung liegt ersichtlich darin begründet, dass in der ursprünglichen Konzeption des Strafvollzugsgesetzes mit § 49 StVollzG (Unterhaltsbeitrag) eine Vorschrift enthalten war, die eine bevorzugte Befriedigung von Unterhaltschulden gewährleisten sollte, und § 51 Abs. 4 und 5 StVollzG nur die Funktion hatte, den Vorrang der Unterhaltsgläubiger vor der Bildung von Überbrückungsgeld zu gewährleisten. Indem der Unterhaltsbeitrag jedoch nach wie vor nicht geltendes Recht geworden und vom Gesetzgeber des badenwürttembergischen Strafgesetzbuchs erst gar nicht kodifiziert wurde, erlangen die Regelungen zum Pfändungsschutz beim Überbrückungsgeld eine über den ursprünglichen gesetzgeberischen Zweck hinausgehende Bedeutung.

(…) Dem Senat ist es verwehrt, selbst gemäß § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG in der Sache zu entscheiden. Denn es fehlt an tatrichterlichen Feststellungen dazu, für welchen Gläubiger und für welche Verbindlichkeiten, inwieweit und für welchen Zeitraum tatsächlich der Anspruch des Antragstellers auf Auszahlung des Eigengeldes gepfändet und seine Leistungsfähigkeit für den titulierten Unterhalt dadurch herabgesetzt oder aufgehoben ist. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG).

(…)

AG Duisburg-Hamborn, Entscheidung vom 16.10.2013 – 21 F 229/13 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 28.03.2014 – II-3 UF 291/13

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