BGH IX ZB 249/08

Fassung InsO vor 01.07.14

Wer spielt

Gläubiger stellt Versagungsantrag. Schuldner gewinnt. Münster

Um was es geht

Verlauf

Schuldnerin heiratet und teilt dies dem Treuhänder mit. Sie wechselt in die Steuerklasse V. Sie wechselt in die Steuerklasse IV. Auskunft über die Höhe der Einkünfte des Ehemanns erteilte die Schuldnerin nicht. Ein Jahr später stellt der Treuhänder den Antrag gemäß § 850c Abs. 4 ZPO, den Ehemann bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens rückwirkend unberücksichtigt zu lassen. Ein Jahr zu spät. Dem Antrag wird – jedoch erst mit Wirkung ab Antragsstellung – entsprochen. Der Masse entgehen rund € 700.

Ergebnis

Es besteht keine Pflicht des Schuldners gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO, den Treuhänder von sich aus auf eine Erhöhung des an ihn ausgezahlten Nettolohns oder darauf hinzuweisen, dass eine nach dem Gesetz unterhaltsberechtigte Person eigene Einkünfte hat.

Die nicht verlangte, unterlassene Auskunft ist ein schlichtes Verschweigen und kein (schwerer wiegendes) Verheimlichen.

Auf Verlangen hat er Auskunft über seine Erwerbstätigkeit sowie über seine Bezüge und sein Vermögen zu erteilen.

§ 850a Abs 4 ZPO

“(…) Am 14. Juli 2006 beantragte der Treuhänder, dem Ehemann bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens rückwirkend unberücksichtigt zu lassen. Der Antrag hatte Erfolg, jedoch erst mit Wirkung ab Antragstellung. Wäre der Antrag vor dem 1. Juli 2005 gestellt worden, hätte der Treuhänder im Zeitraum Juli 2005 bis Juni 2006 insgesamt 737,40 € zur Masse ziehen können. (…)”

Steuerklassenwahl

In der Entscheidung ohne Relevanz:

“(…) Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Schuldnerin habe von der Abtretungserklärung erfasste Bezüge verheimlicht, indem sie den Wechsel von Steuerklasse V in Steuerklasse IV nicht dem Treuhänder mitgeteilt habe. (…)”

Unvollständige Belehrung

“(…) Dass im “Merkblatt über das Verfahren der Restschuldbefreiung” nur der Wortlaut des § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO wiedergegeben sei, ändere im Ergebnis nichts. Die Schuldnerin hätte bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, dass sie die Erhöhung der Nettobezüge dem Treuhänder auch ungefragt mitzuteilen habe. Ihr habe sich aufdrängen müssen, dass die unterbliebene Abführung von Pfändungsbeträgen nicht richtig sein konnte. Infolge des Verheimlichens der höheren Bezüge seien den Gläubigern insgesamt 737,40 € entgangen. Das Verschulden der Schuldnerin sei nicht so unerheblich, dass es vernachlässigt werden könne.

Keine Pflicht auf eigene Veranlassung

“(…) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand. § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO verpflichtet den Schuldner nicht, den Treuhänder von sich aus auf eine Erhöhung des an ihn ausgezahlten Nettolohns oder darauf hinzuweisen, dass eine nach dem Gesetz unterhaltsberechtigte Person eigene Einkünfte hat.

a) Gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO hat der Schuldner (nur) jeden Wechsel des Wohnsitzes und der Beschäftigungsstelle unverzüglich dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder anzuzeigen. Von Änderungen des Auszahlungsbetrages und von eigenen Einkünften unterhaltsberechtigter Personen ist im Gesetz nicht die Rede.

b) Gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO darf der Schuldner außerdem keine von der Abtretungserklärung erfassten Bezüge verheimlichen. Die Voraussetzungen dieses Tatbestandes werden durch unterlassene Hinweise auf einen höheren Auszahlungsbetrag sowie auf den Wegfall (oder das anfängliche Fehlen) der Bedürftigkeit eines Unterhaltsberechtigten jedoch ebenfalls nicht erfüllt.

aa) Entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde stellen Bezüge, die nur aufgrund eines Beschlusses nach § 850c Abs. 4 ZPO gepfändet werden können, allerdings grundsätzlich “von der Abtretung erfasste Bezüge” im Sinne von § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO dar. Dies folgt bereits daraus, dass der Treuhänder den nach § 850c Abs. 4 ZPO erforderlichen Antrag stellen und den infolge des Beschlusses zusätzlich pfändbaren Teil der Bezüge zur Masse ziehen kann (vgl. § 36 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 InsO). Dafür gäbe es sonst keinen Grund.

bb) Der Begriff des “Verheimlichens” geht jedoch (ebenso wie in §§ 283, 283b, 283d StGB; (…)) über denjenigen des schlichten Verschweigens hinaus. Er bezeichnet ein Verhalten, durch das von der Abtretung erfasste Bezüge oder von Todes wegen erworbenes Vermögen der Kenntnis des Treuhänders entzogen werden (AG Neubrandenburg NZI 2006, 647, 648; (…)). Ein schlichtes Unterlassen stellt dann ein “Verheimlichen” dar, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln – zur Offenbarung des Vermögensgegenstandes also – besteht ((…)). Eine Pflicht, den Treuhänder unaufgefordert über einen höheren ausgezahlten Lohn oder über die Einkünfte eines Unterhaltsberechtigten zu unterrichten, enthält § 295 Abs. 1 InsO jedoch gerade nicht.

Ob eine streng am Wortlaut des Gesetzes bleibende Auslegung dem Willen des Gesetzgebers der Insolvenzordnung und dem Sinn und Zweck der Vorschrift ganz entspricht, könnte allerdings in Zweifel gezogen werden. Nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs sollen die Obliegenheiten gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO (§ 244 InsO-E) dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder ermöglichen, das Verhalten des Schuldners ohne großen eigenen Untersuchungsaufwand zu überwachen und erforderlichenfalls zu überprüfen. Dabei sei die Anzeige des Wechsels des Wohnsitzes und der Arbeitsstelle von besonderer Bedeutung. Wichtig sei weiter, dass der Schuldner stets dazu beitrage, dass die von der Abtretung erfassten Beträge vollständig an den Treuhänder abgeführt würden. Erhalte der Schuldner trotz der Abtretungserklärung pfändbare Bezüge ausgezahlt, habe er diese unverzüglich an den Treuhänder weiterzuleiten (…). Je umfangreicher die Anzeige- und Mitwirkungspflichten des Schuldners verstanden werden, desto eher ist gewährleistet, dass alles pfändbare Einkommen sowie das in § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO genannte Vermögen zur Masse gelangt und an die Gläubiger verteilt werden kann.

Diese Überlegungen ändern jedoch nichts daran, dass der Gesetzgeber nur zwei Fälle geregelt hat, in denen der Schuldner von sich aus aktiv werden muss. Hinsichtlich der pfändbaren Bezüge werden die Gläubigerinteressen regelmäßig bereits dann gewahrt, wenn der Schuldner jeden Wechsel des Arbeitsplatzes unverzüglich anzeigt. Die Anzeige ermöglicht es dem Treuhänder, den neuen Arbeitgeber des Schuldners von der Abtretungserklärung zu unterrichten und dadurch sicherzustellen, dass der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens zur Masse gelangt. Dass eine Lohnerhöhung durch den bisherigen Arbeitgeber nicht anzeigepflichtig geworden ist, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass der Arbeitgeber die höheren pfändbaren Beträge in aller Regel selbst errechnet und den höheren pfändbaren Betrag von sich aus an den Treuhänder abführt. Gleiches gilt grundsätzlich auch bei einem Wechsel der Lohnsteuerklasse, der eine Erhöhung des Nettolohns zur Folge hat.

Den Sonderfall einer Erhöhung des Nettolohns, die sich wegen der Berücksichtigung eines Schein-Unterhaltsberechtigten nicht in der Abführung eines entsprechend erhöhten Betrages niederschlägt, hat der Gesetzgeber entweder nicht bedacht oder aber nicht für regelungsbedürftig gehalten. Geht man von einer nicht beabsichtigten Regelungslücke aus, ist als nächstes zu prüfen, ob eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 295 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1 InsO in Betracht kommt. Für die Analogie spricht die Absicht des Gesetzgebers sicherzustellen, dass alles pfändbare Einkommen des Schuldners zur Masse gelangt. Auf der anderen Seite ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Erlangung der Restschuldbefreiung für den Schuldner häufig von elementarer Bedeutung ist. Pflichten zu schaffen, die sich nicht aus dem Gesetz ergeben, deren Verletzung aber zur Versagung der Restschuldbefreiung führt, ist vor diesem Hintergrund bedenklich.

Gesetzessystematische Überlegungen sprechen ebenfalls gegen eine analoge Anwendung der Hinweispflichten des § 295 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1 InsO auf andere, nicht ausdrücklich geregelte Fälle. Der Gesetzgeber hat eine Versagung der Restschuldbefreiung nur auf Antrag eines Gläubigers vorgesehen (vgl. § 290 Abs. 1, § 296 Abs. 1 InsO). Nach bisherigem Rechtszustand bleibt also sogar ein gravierendes Fehlverhalten des Schuldners folgenlos, wenn kein Gläubiger reagiert. Wollen die Gläubiger umgekehrt sicherstellen, dass der Schuldner alles ihm Mögliche zu ihrer Befriedigung beiträgt und kein Pflichtverstoß unbemerkt bleibt, können sie durch Beschluss der Gläubigerversammlung dem Treuhänder zusätzlich die Aufgabe übertragen, die Erfüllung der Obliegenheiten des Schuldners zu überwachen (§ 292 Abs. 2 Satz 1 InsO). In diesem Fall hat der Treuhänder die Gläubiger unverzüglich zu benachrichtigen, wenn er einen Verstoß gegen diese Obliegenheiten feststellt (§ 292 Abs. 2 Satz 2 InsO). Die Aufgabe, die Erfüllung der Obliegenheiten des Schuldners zu überwachen, ist allerdings zusätzlich zu vergüten (§ 15 InsVV). Der Treuhänder ist nur zur Überwachung verpflichtet, soweit die ihm dafür zustehende zusätzliche Vergütung gedeckt ist oder vorgeschossen wird (§ 292 Abs. 2 Satz 3 InsO). Nach der Konzeption des Gesetzes müssen die Gläubiger also den Treuhänder beauftragen und erforderlichenfalls seine Vergütung vorschießen, wenn der Schuldner besonders überwacht werden soll. Abgesichert wird die Beauftragung des Treuhänders durch die in § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO normierte Verpflichtung des Schuldners, dem Treuhänder auf Verlangen Auskunft über seine Erwerbstätigkeit oder seine Bemühungen um eine solche sowie über seine Bezüge und sein Vermögen zu erteilen. Die Initiative liegt insoweit beim Treuhänder: Er muss in Erfüllung des Auftrags der Gläubigerversammlung je nach Lage des Falles regelmäßig um Auskünfte nachsuchen. Der Schuldner ist gehalten, wahrheitsgemäß zu antworten. Stellt der Treuhänder eine Obliegenheitsverletzung fest, unterrichtet er die Gläubiger, die daraufhin einen Versagungsantrag stellen können. Eine engere Überwachung des Schuldners führt auch dazu, dass die Voraussetzungen eines Antrags nach § 850c Abs. 4 ZPO zeitnah ermittelt werden; der entsprechende Antrag kann dann gestellt werden, bevor ein zu großer Verlust entsteht.

Zu dieser Konzeption des Gesetzgebers passen keine zusätzlichen, im Gesetz nicht vorgesehenen Auskunftspflichten des Schuldners auf eigene Veranlassung und in eigener Verantwortung. Außerdem wird der Schuldner im Beschluss über die Ankündigung der Restschuldbefreiung darauf hingewiesen, dass er “den Obliegenheiten nach § 295” nachzukommen hat (§ 291 Abs. 1 InsO). Auf ungeschriebene Verpflichtungen wird er nicht hingewiesen. Im vorliegenden Fall geht es um einen verspätet erwirkten Beschluss nach § 850c Abs. 4 ZPO. Dass das Einkommen von Familienangehörigen Auswirkungen auf den Umfang des Pfändungsschutzes haben kann, ist einem Schuldner nicht ohne weiteres bekannt (…). Unterlassene Mitteilungen können auch aus diesem Grund nicht unbesehen zu einer Versagung der Restschuldbefreiung führen. Eine Korrektur eines wegen der Überforderung des Schuldners für unbillig gehaltenen Ergebnisses wäre zwar auch über das Verschuldenserfordernis des § 296 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 InsO möglich, wobei hier allerdings die Darlegungs- und Feststellungslast den Schuldner trifft. Näher liegt jedoch, am Wortlaut des Gesetzes zu bleiben, der sich – wie gezeigt – in ein in sich geschlossenes System von Mitwirkungspflichten des Schuldners einerseits, Regel- und Zusatzpflichten des Treuhänders andererseits einfügt und die ganz überwiegende Anzahl der Fälle sachgerecht löst.(…)”

Überraschungen

Die Meinung der unteren Instanz (die keinen Bestand hatte): “(…) Ein Schuldner, der in den Genuss des Privilegs der Restschuldbefreiung kommen wolle, müsse seinen Obliegenheiten besonders sorgfältig und gewissenhaft nachkommen. (…)”

Also: Enjoy Restschuldbefreiung.

AG Münster, Entscheidung vom 20.03.2007 – 87 IK 9/01 -
LG Münster, Entscheidung vom 08.10.2008 – 5 T 512/07 -

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