BGH IX ZB 214/04

Beschluss vom 17.03.05
Fassung InsO vor 01.07.14

Wer spielt

Um was es geht

Verlauf

In dem am 8. November 2003 eröffneten Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin haben bis zum Schlußtermin keine Insolvenzgläubiger Forderungen angemeldet. Durch Beschluß des Insolvenzgerichts vom 9. August 2004 ist der Schuldnerin die Restschuldbefreiung angekündigt worden. Die Laufzeit der Abtretungserklärung (“Wohlverhaltensphase”) ist auf sechs Jahre, beginnend mit der Verfahrenseröffnung, festgesetzt worden.

Mit ihrer sofortigen Beschwerde hat die Schuldnerin den Wegfall oder zumindest eine Herabsetzung der Dauer der Wohlverhaltensphase begehrt. Das Landgericht hat die Beschwerde mit Beschluß vom 9. September 2004 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Schuldnerin mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

Ergebnis

Die Rechtsbeschwerde ist kraft Gesetzes statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7 InsO), weil gegen die Festsetzung der Wohlverhaltensphase die sofortige Beschwerde gemäß § 289 Abs. 2 Satz 1 InsO eröffnet ist (MünchKommInsO/Stephan, § 289 Rn. 38). Die “Zulassung” einer kraft Gesetzes statthaften Rechtsbeschwerde ist wirkungslos, weil sie den Bundesgerichtshof nicht bindet (vgl. BGH, Beschl. v. 22. Juli 2004 -IX ZB 161/03, NZI 2004, 577, z.V.b. in BGHZ).

Die Rechtsbeschwerde ist darüber hinaus zulässig. Zwar hatte die Schuldnerin mit dem Antrag auf Restschuldbefreiung selbst eine Abtretungserklärung für die Zeit von sechs Jahren nach Insolvenzeröffnung vorgelegt. Gleichwohl wurde sie durch den Beschluß des Insolvenzgerichts beschwert. Denn dem Antrag lag ersichtlich die -dem Regelfall entsprechende -Erwartung zugrunde, daß nach Insolvenzeröffnung Gläubiger Forderungen anmelden. Demgemäß ist der Antrag im Sinne des Begehrens auszulegen, mit dem die Schuldnerin ihre sofortige Beschwerde verfolgt hat und nunmehr ihre Rechtsbeschwerde verfolgt. Da es sich um eine Verfahrenserklärung handelt, ist der Senat zu einer derartigen Auslegung befugt (vgl. BGH, Urt. v. 31. Mai 1995 -VIII ZR 267/94, NJW 1995, 2563, 2564).

Die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 4 InsO ist ebenfalls gegeben. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, und zudem ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Indem die Rechtsbeschwerde auf die von der Auffassung des Beschwerdegerichts abweichenden instanzgerichtlichen Entscheidungen hingewiesen und im einzelnen ausgeführt hat, aus welchen Gründen entgegen der Auffassung des Landgerichts in Fällen der vorliegenden Art eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung zulässig und geboten sei, hat sie in einer den Anforderungen des § 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO genügenden Weise zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen Stellung genommen (vgl. BGH, Beschl. v. 22. Juli 2004 -IX ZB 161/03, aaO).

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

1.Die Erteilung der Restschuldbefreiung ist an die Voraussetzung geknüpft, daß der Schuldner seine pfändbaren Bezüge für die Dauer von sechs Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens (sogenannte Wohlverhaltensphase) an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder abtritt (§ 287 Abs. 2 InsO), der die aufgrund der Abtretung erlangten Beträge einmal jährlich auf der Grundlage des Schlußverzeichnisses an die Insolvenzgläubiger zu verteilen hat (§ 292 Abs. 1 Satz 2 InsO). Diese Regelung beruht auf der Annahme, daß es Gläubiger gibt, die ihre Forderungen im Insolvenzverfahren angemeldet haben und deren Ansprüche deshalb durch den Treuhänder zu befriedigen sind. Ob der Schuldner auch dann die Wohlverhaltensphase durchlaufen muß, wenn keine Forderungen angemeldet worden sind, hat der Gesetzgeber nicht geregelt.

2. In Rechtsprechung und Schrifttum ist die Frage umstritten. Nach der einen Ansicht -der sich das Beschwerdegericht im wesentlichen angeschlossen hat -kommt eine Erteilung der Restschuldbefreiung bereits im Schlußtermin trotz fehlender Gläubigeranmeldungen nicht in Betracht, weil auch den Insolvenzgläubigern, die nicht am Verfahren teilgenommen hätten, die Möglichkeit offengehalten werden müsse, Versagungsanträge nach §§ 296, 297 InsO zu stellen (LG Traunstein ZInsO 2003, 814; LG Oldenburg NZI 2004, 44; Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl. § 291 Rn. 37 ff; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO § 299 Rn. 3; Fuchs ZInsO 2002, 298, 308 f). In § 299 InsO sei eine Abkürzung der Wohlverhaltensphase ausdrücklich nur für den Fall vorgesehen, daß dem Schuldner die Restschuldbefreiung nach §§ 296 bis 298 InsO vorzeitig versagt werde. Diese Regelung schließe eine entsprechende Anwendung des § 300 Abs. 1 InsO für den Fall ausgebliebener Gläubigeranmeldungen aus.

Nach der Gegenmeinung kann dem Schuldner bei fehlenden Gläubigeranmeldungen die Restschuldbefreiung bereits im Schlußtermin erteilt werden (LG Frankfurt a.M. ZVI 2003, 426; FK-InsO/Ahrens, 3. Aufl. § 300 Rn. 12a; HKInsO/Landfermann, 3. Aufl. § 299 Rn. 4; Braun/Buck, InsO 2. Aufl. § 299 Rn. 3; Lohmann ZInsO 2000, 445; Winter ZVI 2003, 451; Pape NZI 2004, 1 ff; ders. NJW 2004, 2492, 2496).

3. Der Senat billigt im Grundsatz die zuletzt genannte Ansicht.

a) Für den Fall, daß keine Gläubigeranmeldungen erfolgen, liegt eine planwidrige Gesetzeslücke vor. Der Gesetzgeber hat das Problem fehlender Anmeldungen, das in der Praxis selten vorkommt, nicht gesehen. Diese Lücke kann im Wege der Analogie geschlossen werden. Die Regelung in § 299 InsO steht dem nicht entgegen. Danach endet die Wohlverhaltensphase mit der Rechtskraft einer Entscheidung, mit der die Restschuldbefreiung nach §§ 296, 297 oder 298 InsO versagt wird. Daraus kann nicht entnommen werden, in anderen Fällen könne es keine vorzeitige Beendigung der Wohlverhaltensphase geben. Es ist -soweit ersichtlich -unbestritten, daß § 299 InsO entsprechend anzuwenden ist, wenn der Schuldner seinen Restschuldbefreiungsantrag zurücknimmt, der Antrag für erledigt erklärt wird oder das Verfahren durch den Tod des Schuldners sein Ende findet (MünchKomm-InsO/Ehricke, § 299 Rn. 16 ff; FK-InsO/Ahrens, § 299 Rn. 8; HK-InsO/Landfermann, § 299 Rn. 2; Uhlenbruck/Vallender, § 299 InsO Rn. 8 ff; Kübler/Prütting/Wenzel, § 299 InsO Rn. 3; Nerlich/Römermann, InsO § 299 Rn. 9; Braun/Buck, § 299 InsO Rn. 3). In allen diesen Fällen scheidet eine Restschuldbefreiung aus. Umgekehrt ergibt sich daraus nichts für den -hier vorliegenden -Fall, daß eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung in Betracht kommt.

b) Eine solche scheidet nicht deshalb aus, weil Insolvenzgläubigern, die nicht am Insolvenzverfahren teilnehmen, die Möglichkeit zu erhalten sei, Versagungsanträge nach §§ 296, 297 InsO zu stellen. Nicht am Verfahren teilnehmenden Gläubigern ist es verwehrt, Verfahrensrechte in der Wohlverhaltensphase wahrzunehmen (MünchKomm-InsO/Stephan, § 296 Rn. 4; HK-InsO/ Landfermann, § 296 InsO Rn. 6; Lessing EWiR 2001, 1001; Pape NZI 2004, 1, 4; a.A. Uhlenbruck/Vallender, § 296 InsO Rn. 3). In diesem Stadium können die Anmeldung und Prüfung der Forderung nicht mehr nachgeholt werden.

Unabhängig von der fehlenden Antragsberechtigung muß ein Versagungsantrag nach § 296 InsO auch daran scheitern, daß die dort vorausgesetzte Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger durch Obliegenheitsverletzungen des Schuldners nicht eintreten kann; denn gegenüber den am Verfahren nicht teilnehmenden Gläubigern treffen den Schuldner keine Obliegenheiten (Pape NZI 2004, 1, 3 r.Sp., ebenso Uhlenbruck/Vallender, § 291 InsO Rn. 39).

c) Ein förmliches Restschuldbefreiungsverfahren unter Einschluß einer Wohlverhaltensphase, während der über Jahre hinweg vom Treuhänder die Abtretungsbeträge des Schuldners für nicht vorhandene Insolvenzgläubiger gesammelt werden müßten, um sie dann am Ende dieser Phase an den Schuldner zurückzugeben, wäre sinnlos. Dem Schuldner würde in dieser Zeit ohne sachlichen Grund -nämlich ohne Legitimation durch zu schützende Gläubigerinteressen -seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit außerhalb der Pfändungsfreigrenzen genommen.

Soweit deswegen die Auffassung vertreten wird, daß zwar die Abtretung an den Treuhänder entfalle und auch dessen Aufgaben obsolet seien (Uhlenbruck/Vallender, § 291 InsO Rn. 39), jedoch eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung nicht in Betracht komme, führt auch dies zu deren Aufschub bis zum Ende einer inhaltsleeren und sinnlosen Wohlverhaltensphase. Angeblich soll damit einem “geschickten Taktieren” des Schuldners vorgebeugt werden, der eine strafrechtliche Verurteilung gemäß §§ 283 bis 283c StGB über den Schlußtermin hinauszögern könne (Uhlenbruck/Vallender, aaO Rn. 38). Dabei wird übersehen, daß Voraussetzung einer Versagung der Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO ein entsprechender Gläubigerantrag im Schlußtermin ist.

4.Ob es im vorliegenden Fall absonderungsberechtigte Gläubiger gibt, die es versäumt haben, ihre persönliche Forderung oder ihren Ausfall rechtzeitig anzumelden und deshalb nicht im Schlußverzeichnis erscheinen, ist nicht festgestellt. Falls solche vorhanden sein sollten, stünde dies einem Verzicht auf die Wohlverhaltensphase nicht entgegen (HK-InsO/Landfermann, § 299 Rn. 4; Winter ZVI 2003, 216, 219; Pape NZI 2004, 1, 7; a.A. Durani ZInsO 2003, 1037 f). Denn ein Absonderungsberechtigter, der nicht seine persönliche Forderung in voller Höhe oder zumindest in Höhe des Ausfalls anmeldet, nimmt am Insolvenzverfahren nicht teil (MünchKomm-InsO/Ganter, § 52 Rn. 16).

5.Für die Versagung der vorzeitigen Erteilung der Restschuldbefreiung können hier allerdings die Interessen der Massegläubiger (§ 53 InsO) sprechen.

a) Gemäß § 292 Abs. 1 Satz 2 InsO darf der Treuhänder die Beträge, die er durch Abtretung erlangt, an die Insolvenzgläubiger erst verteilen, wenn die nach § 4a InsO gestundeten Verfahrenskosten (abzüglich der Kosten für die Beiordnung eines Rechtsanwalts) berichtigt sind. Nach einhelliger Meinung hat der Treuhänder auch die sonstigen noch offenen Masseverbindlichkeiten zu befriedigen, bevor er Ausschüttungen an die Insolvenzgläubiger vornimmt (Begründung zu § 329 RegE, BT-Drucks. 12/2443, 222; Uhlenbruck/Vallender, § 289 InsO Rn. 40; Kübler/Prütting/Wenzel, § 289 InsO Rn. 6; HK-InsO/ Landfermann, § 289 Rn. 11; Fuchs, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung 2. Aufl. S. 1738 Rn. 172; Pape ZInsO 2001, 587, 590; ders. NZI 2004, 1, 6). Daraus läßt sich entnehmen, daß das Sammeln von Abtretungsbeträgen und deren Verteilung durch den Treuhänder auch den Interessen von Massegläubigern dient, die während des Insolvenzverfahrens nicht befriedigt worden sind (insofern a.A. Pape NZI 2004, 1, 6).

b) Sind schon vor dem Schlußtermin die Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO) berichtigt und sämtliche sonstigen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) erledigt, besteht keine Veranlassung, die Wohlverhaltensphase in Gang zu setzen. Entsprechendes gilt für den Fall, daß Insolvenzgläubiger ihre Forderungen im Verfahren angemeldet haben und sogar diese vorzeitig vollständig befriedigt worden sind. Darlegungsund beweispflichtig für die vollständige Berichtigung der Kosten und Tilgung aller im Verfahren zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten ist der Schuldner. Wird dieser Beweis im Schlußtermin nicht erbracht, darf die Restschuldbefreiung nicht erteilt werden; sie kann lediglich angekündigt werden (§ 291 InsO). Ergibt sich später aus einer der vom Treuhänder jährlich vorzunehmenden Abrechnungen, daß keine Kosten mehr offen und sämtliche Verbindlichkeiten getilgt sind, kann der Schuldner analog § 299 InsO einen Antrag auf vorzeitige Beendigung der Wohlverhaltensphase stellen. Dann ist ihm vor Ablauf der Frist die Restschuldbefreiung zu erteilen.

6. Dazu, ob noch Kosten oder sonstige Masseverbindlichkeiten offen sind, ist bislang nichts festgestellt. Die Zurückverweisung an das Beschwerdegericht gibt diesem Gelegenheit, dies nachzuholen.

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