BGH IX ZB 16/14

Beschluss vom 20.11.14
Fassung InsO vor 01.07.14

Fassung InsO vor 01.07.14

#stundungverfahrenskosten
#rückstellungwohlverhaltensphase
#pflichtzurRückstellung
#analogeAnwendung

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, §§ 6, 4d Abs. 2 InsO statthaft, weil sie vom Landgericht zugelassen worden ist (§ 574 Abs. 3 ZPO). Sie ist auch im Übrigen (§ 575 Abs. 1 bis 3 ZPO) zulässig. In der Sache hat sie Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Stundung der in der Wohlverhaltensperiode anfallenden Verfahrenskosten lägen nach § 4a Abs. 1 Satz 1 InsO vor. Das Einkommen des Schuldners übersteige den pfändungsfreien Betrag nicht. Auf die vom Insolvenzverwalter auf Bitten des Insolvenzgerichts vorsorglich gebildete Rückstellung aus der Masse könne zum Bestreiten der in der Wohlverhaltensperiode anfallenden Verfahrenskosten nicht zurückgegriffen werden, weil diese nicht habe gebildet werden dürfen.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Die Frage, ob der Insolvenzverwalter aus der Masse eine Rückstellung für die in der Wohlverhaltensperiode anfallenden Verfahrenskosten bilden muss und wegen einer solchen Rückstellung die Stundung der in der Wohlverhaltensperiode anfallenden Verfahrenskosten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2003 – IX ZB 459/02, NJW 2003, 3780, 3781) ausscheidet, ist streitig.

b) Die zuerst genannte Ansicht trifft zu.

aa) Der Wortlaut der Insolvenzordnung sieht allerdings keine Rückstellung aus der Masse für nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens in der Wohlverhaltensperiode entstehende Verfahrenskosten vor.

(…)

(2) Das Insolvenzverfahren ist auf eine schnelle Bereinigung der Vermögenslage des Schuldners und eine möglichst zeitnahe Beteiligung der Insolvenzgläubiger an den erzielten Verwertungserlösen ausgerichtet (BGH, Urteil vom 10. Dezember 1959 – VII ZR 210/58, BGHZ 31, 337, 341; Nerlich/ Römermann/Westphal, InsO, 2013, § 196 Rn. 2).

Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens erlangt der Schuldner sowohl die Verfügungs- als auch die Verwaltungsbefugnis über sein Vermögen zurück, die infolge der Eröffnung nach § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter übergegangen waren. Der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis vom Insolvenzverwalter auf den Schuldner bedeutet in tatsächlicher Hinsicht auch eine Rückgabe der Masse; der Verwalter hat also dafür Sorge zu tragen, dass dem Insolvenzschuldner die Verfügungsgewalt über sein Vermögen – soweit nicht verwertbar – auch tatsächlich zurückgegeben wird (Jaeger/Meller-Hannich, aaO § 200 Rn. 13, 15). Der Schuldner erlangt die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis jedoch nicht für Gegenstände zurück, die einer Nachtragsverteilung vorbehalten sind, weil insoweit der Insolvenzbeschlag fortbesteht und der Verwalter verwaltungs- und verfügungsbefugt bleibt (Jaeger/Meller-Hannich, aaO § 200 Rn. 16).

bb) Doch ergibt sich das Recht, aber auch die Pflicht des Insolvenzverwalters, nach Möglichkeit eine Rückstellung für die in der Wohlverhaltensperiode anfallenden Verfahrenskosten aus der um die Massekosten nach § 54 InsO und die Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO bereinigte Masse zu bilden, aus einer Analogie zu § 292 Abs. 1 Satz 2, §§ 189, 191, 198 InsO, wenn vorauszusehen ist, dass der Schuldner aus seinen in der Wohlverhaltensperiode erwirtschafteten Einkünften die Verfahrenskosten nicht wird aufbringen können.

(1) Eine Analogie setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus.

Ob eine derartige Lücke vorhanden ist, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht zu beurteilen (BGH, Urteil vom 13. November 2001, BGHZ 149, 165, 174; Beschluss vom 16. Juli 2009 – IX ZB 219/08, WM 2009, 1896 Rn. 14; Urteil vom 11. März 2010 – IX ZR 34/09, NZI 2010, 399 Rn. 10; Beschluss vom 18. September 2014 – IX ZB 68/13 WM 2014, 2094 Rn. 14).

Die gesamte Insolvenzordnung ist von dem Grundsatz durchzogen, dass die Berichtigung der Kosten des Insolvenzverfahrens einschließlich der in der Wohlverhaltensperiode anfallenden Verfahrenskosten absoluten Vorrang hat (vgl. BGH, Urteil vom 13. April 2006 – IX ZR 22/05, NJW 2006, 2997 Rn. 22; Beschluss vom 19. November 2009 – IX ZB 261/08, NZI 2010, 188 Rn. 18).
(…)
Damit liegt der Regelung der Kostenstundung das gesetzgeberische Konzept zugrunde, dass ein Einsatz öffentlicher Mittel nur erfolgen soll, wenn der Schuldner unter Heranziehung des während des Verfahrens erlangten Neuerwerbs nicht in der Lage ist, die Verfahrenskosten abzudecken (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2009, aaO Rn. 22 f).

AG Duisburg, Entscheidung vom 27.03.2013 – 62 IN 183/08 -
LG Duisburg, Entscheidung vom 25.02.2014 – 7 T 191/13

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