BGH IX ZB 456/02

Beschluss vom 22.05.03
Fassung InsO vor 01.07.14

Wer spielt

Um was geht

Verlauf

Auf Antrag des Schuldners, eines selbständigen Gastwirts und angestellten Posthalters, wurde über sein Vermögen am 18. Oktober 2000 ein Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet, in dem er Restschuldbefreiung begehrt. Ein Gläubiger (Finanzverwaltung) beantragte im Schlußtermin am 2. August 2001, die Restschuldbefreiung zu versagen, weil der Schuldner rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung verurteilt sei, in den letzten drei Jahren vor der Antragstellung keine Steuererklärungen abgegeben und bei Beantragung einer Erwerbsunfähigkeitsrente im Jahre 1996 seine selbständige Erwerbstätigkeit als Gastwirt verschwiegen habe. Das Amtsgericht -Insolvenzgericht -hat diebeiden ersten Gründe nicht für durchgreifend erachtet, aber mit Rücksicht auf den zuletzt genannten Grund die Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO versagt. Zwar sei -so das Amtsgericht -der Rentenantrag vor Beginn der Dreijahresfrist des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO gestellt worden, jedoch habe der Schuldner den Irrtum, den er durch die darin enthaltenen falschen Angaben erweckt habe, auch später durch pflichtwidriges Unterlassen aufrechterhalten. Das Unterlassen sei hier einem aktiven Tun gleich zu achten. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht diese Entscheidung aufgehoben und dem Schuldner nach Maßgabe des § 291 InsO Restschuldbefreiung angekündigt. Es hat ausgeführt, daß der Schuldner es innerhalb der Dreijahresfrist unterlassen habe, gegenüber der Rentenstelle seine unvollständigen Angaben zu ergänzen, erfülle nicht die Voraussetzungen des Ausschlußgrundes nach § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Das Unterlassen einer Mitteilung sei einer schriftlichen Erklärung -wie sie in der Nr. 2 verlangt werde -nicht gleich zu achten. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Gläubigers.

Ergebnis

Das gemäß § 7 InsO, § 574 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, §§ 575, 576 ZPO zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.

1. § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist auf den -hier möglicherweise gegebenen -Fall nicht anzuwenden, daß der Schuldner außerhalb des Zeitraums von drei Jahren vor dem Eröffnungsantrag vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, um Leistungen aus öffentlichen Mitteln zu beziehen, und es unterläßt, innerhalb der Dreijahresfrist diese Angaben richtigzustellen oder zu ergänzen. § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO verlangt kumulativ schriftliche Angaben und außerdem solche innerhalb der Dreijahresfrist. Innerhalb dieser Frist hat der Schuldner keine schriftlichen Angaben gemacht, und die schriftlichen Angaben, die er gemacht hat, liegen außerhalb dieses Zeitraums. Daran ändert nichts, falls sich das Unterlassen des Schuldners innerhalb der Dreijahresfrist -wie die Rechtsbeschwerde meint -als Betrug darstellen sollte.

Allerdings war der Schuldner gemäß § 60 SGB I gegenüber der Rentenstelle zur Berichtigung verpflichtet. Ob der Schuldner deswegen, weil er diese Berichtigung unterließ, einen Betrug begangen hat, kann dahingestellt bleiben. Wäre das Unterlassen der Berichtigung einer Täuschung durch positives Tun gleich zu achten, fehlte es an dem in § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO enthaltenen Merkmal, wonach nur “schriftliche” Angaben zur Beurteilung der Redlichkeit des Schuldners berücksichtigt werden können. Schriftliche Angaben hat der Schuldner innerhalb der Dreijahresfrist nicht gemacht. Daß es darauf -wie die Rechtsbeschwerde meint -für die Versagung der Restschuldbefreiung nicht ankomme, ist unzutreffend. Mit der Beschränkung des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf schriftliche Angaben wollte der Gesetzgeber die Feststellung erleichtern, ob der Versagungsgrund vorliegt (Begründung zu § 239 RegE, BT-Drucks. 12/2443 S. 190). Die gerichtliche Entscheidung darüber sollte nicht von -unter Umständen langwierigen und aufwendigen -Beweiserhebungen abhängen (vgl. OLG Köln ZIP 2001, 466, 468; MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rn. 35; Kübler/Prütting/Wenzel, § 290 InsO Rn. 11; HK-Landfermann, InsO 2. Aufl. § 290 Rn. 5). Der Hinweis der Rechtsbeschwerde, im vorliegenden Fall würden die Gerichte nicht mit komplizierten Ermittlungsaufgaben belastet, weil unrichtige Angaben des Schuldners für das Jahr 1996 dokumentiert seien und diese bis in den Zeitraum des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO hinein weitergewirkt hätten, so daß keine Beweisschwierigkeiten bestünden, verfängt nicht. § 290 Abs. 1 InsO umschreibt die Verhaltensweisen, die eine Versagung rechtfertigen, abschließend. Andere Verhaltensweisen bleiben sanktionslos, selbst wenn sie ebenfalls als unredlich anzusehen sind (MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rn. 3; Nerlich/Römermann, InsO § 290 Rn. 25 ff; Braun/Buck, InsO § 290 Rn. 2). Dies dient der Rechtssicherheit; Schuldner und Insolvenzgläubiger sollen von vornherein wissen, unter welchen Bedingungen das Privileg der Restschuldbefreiung erteilt oder versagt werden kann (Begründung zu § 239 RegE, BT-Drucks. 12/2443 S. 190).

Über die in § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO enthaltene Dreijahresfrist darf nicht hinweggegangen werden. Durch das Erfordernis der zeitlichen Nähe der unrichtigen oder unvollständigen Angaben zu dem Zeitpunkt, in dem über die Restschuldbefreiung zu entscheiden ist, hat der Gesetzgeber zum Ausdruck bringen wollen, daß solche Angaben, die länger zurückliegen, bei der Beurteilung der für die Restschuldbefreiung vorausgesetzten Redlichkeit des Schuldners nicht berücksichtigt werden sollen. Zum einen gestatten vorsätzliche oder grob fahrlässige unrichtige oder unvollständige Angaben über die (damaligen) wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners um so weniger Rückschlüsse über dessen (derzeitige) Redlichkeit, je länger sie zurückliegen; zum andern gestaltet sich unter diesen Umständen auch die Feststellung schwieriger, daß er damals vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Auch nach Ansicht der Rechtsbeschwerde bezieht aber das Unterlassen des Schuldners innerhalb der Dreijahresfrist seinen Unrechtsgehalt wesentlich aus den falschen Angaben vor Fristbeginn. Selbst wenn deren “Weiterwirken” in Verbindung mit demspäteren Unterlassen einer Richtigstellung als Betrug im Sinne von § 263 StGB zu werten wäre, könnte dadurch die Dreijahresfrist im Sinne von § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht “gestreckt” werden. Andernfalls würde der Betrug nach § 263 StGB den Insolvenzstraftaten im Sinne des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO an die Seite gestellt, bei denen es grundsätzlich (vgl. aber § 51 BZRG in Verbindung mit den Tilgungsfristen gemäß §§ 45, 46 BZRG) nicht auf die zeitliche Nähe zu dem Zeitpunkt der Entscheidung über die Restschuldbefreiung ankommt.

2.Die Ansicht des Insolvenzgerichts, die anderen von der Gläubigerin im Schlußtermin angegebenen Versagungsgründe seien nicht stichhaltig, wird von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen; sie läßt auch keinen Rechtsfehler erkennen.

3.Die Gläubigerin hat ihren Antrag auf Restschuldbefreiung im Beschwerdeverfahren ergänzend auf einen neuen Sachverhalt gestützt, der ebenfalls die Anwendung des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO rechtfertige: Der Schuldner habe innerhalb der Dreijahresfrist einen Steuererlaß gemäß § 227 AO beantragt und hierbei auf früher abgegebene eidesstattliche Versicherungen verwiesen, die ihrerseits falsch gewesen seien, weil in ihnen die Renteneinkünfte verschwiegen worden seien. Dieses Vorbringen, auf welches das Landgericht nicht eingegangen ist, verhilft der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg.

a) Ob der Gläubiger, der im Schlußtermin beantragt hat, die Restschuldbefreiung zu versagen, im Beschwerdeverfahren einen neuen Versagungsgrund nachschieben kann, ist allerdings zweifelhaft. Einerseits ist die sofortige Beschwerde eine neue Tatsacheninstanz (vgl. § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO), in welcher der Amtsermittlungsgrundsatz des § 5 InsO gilt (MünchKommInsO/Ganter, § 5 Rn. 12, § 6 Rn. 46, 53; vgl. ferner Musielak/Ball, ZPO 3. Aufl. § 571 Rn. 1, 3). Andererseits ist der Antrag eines Gläubigers, die Restschuldbefreiung zu versagen, gemäß § 290 Abs. 2 InsO nur zulässig, wenn ein Versagungsgrund glaubhaft gemacht wird. Schiebt der Gläubiger einen neuen Versagungsgrund im Beschwerdeverfahren nach, ist jedenfalls dieser neue Grund nicht im Schlußtermin glaubhaft gemacht worden. Ob noch nach dem Schlußtermin eine Glaubhaftmachung erfolgen kann, ist umstritten (bejahend Kohte/Ahrens/Grote, Verfahrenskostenstundung, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenzverfahren 2. Aufl. § 290 Rn. 59; FK-Ahrens, § 290 InsO Rn. 59; verneinend LG München ZInsO 2001, 767; MünchKommInsO/Stephan, § 290 Rn. 20; Uhlenbruck/Vallender, InsO § 290 Rn. 11; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO § 290 Rn. 6).

b) Der Senat braucht auf diese Fragen nicht näher einzugehen, weil das neue Vorbringen der Gläubigerin die Annahme eines Versagungsgrundes nicht rechtfertigt.

Der Schuldner hat mit Schriftsatz seines anwaltlichen Vertreters vom 6. Januar 1999 -mithin innerhalb der Dreijahresfrist -der Gläubigerin vorgeschlagen, auf ihre Forderungen zu verzichten. Er, der Schuldner, habe erstmals im Jahre 1993 die eidesstattliche Versicherung abgegeben und sei nach wie vor zahlungsunfähig. Im Falle eines Insolvenzverfahrens mit Restschuldbefreiung habe die Gläubigerin keine Aussicht auf Zahlungen.

Damit hat der Schuldner nicht im Sinne von § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht. Daß der Schuldner mehrfach eidesstattliche Versicherungen abgegeben hat, steht fest. Auch an seiner Zahlungsunfähigkeit ist nicht zu zweifeln, nachdem inzwischen ein Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet worden ist. Unvollständige Angaben enthältnach Ansicht der Rechtsbeschwerde allein die im Jahre 1996 abgegebene eidesstattliche Versicherung. Darauf hat der Schuldner in dem erwähnten Anwaltsschriftsatz aber nicht Bezug genommen.

Überraschungen

keine

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