BGH IX ZB 212/08

Beschluss vom 19.03.09
Fassung InsO vor 01.07.14

Wer spielt

Um was es geht

Verlauf

Der Verwalter forderte die aus Polen stammende Schuldnerin durch Schreiben vom 5. März 2007 auf, einen Nachweis über das von ihr bezogene monatliche Einkommen vorzulegen. Zugleich bat er um Mitteilung über “weitere Vermögensveränderungen”. Im Schlusstermin vom 7. Januar 2008 beantragte der Beteiligte, der Schuldnerin die Restschuldbefreiung zu versagen, weil sie – unstreitig – nicht angegeben hatte, dass ihr zuvor studierender Sohn in das Berufsleben eingetreten und damit ihre Unterhaltsverpflichtung entfallen war. Das Arbeitseinkommen der Schuldnerin bewegte sich unabhängig von einer etwaigen Unterhaltspflicht stets unterhalb der Pfändungsfreigrenzen. Amtsgericht und Landgericht haben der Schuldnerin die Restschuldbefreiung versagt. Dagegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.

Ergebnis

Das Landgericht hat ausgeführt, der Wegfall der Unterhaltspflicht stelle eine Veränderung der Vermögensverhältnisse dar und könne Auswirkungen auf das pfändbare Einkommen haben. Die Schuldnerin habe insoweit bestehende Auskunftspflichten grob fahrlässig verletzt. Da von einem Schuldner, der Restschuldbefreiung begehre, erwartet werden könne, dass er seinen Verpflichtungen genau nachkomme, sei ein Pflichtverstoß im Zweifel als grob fahrlässig zu bewerten. Die Schuldnerin habe aufgrund vorangegangener Auskunftsverlangen wissen müssen, dass Unterhaltsverpflichtungen ihre Vermögensverhältnisse beträfen und deshalb eine entsprechende Änderung dem Insolvenzverwalter mitzuteilen sei. Etwaigen Verständnisschwierigkeiten hätte die Schuldnerin durch Einholung einer Aufklärung bei einer sprachkundigen Person abhelfen können. Der Pflichtverstoß sei nicht unwesentlich, weil die Schuldnerin eine nicht nur geringfügige Änderung ihrer Vermögensverhältnisse verschwiegen habe.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 7, 6 Abs. 1, § 289 Abs. 2 Satz 1 InsO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Beschwerdegericht hat hier – wie die Rechtsbeschwerde zu Recht beanstandet – in Anwendung des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt.

1. Der von der Schuldnerin unterbreitete Zulässigkeitsgrund, ob die Versagung der Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO eine Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten der Gläubiger voraussetzt, hat aufgrund der am 8. Januar 2009 ergangenen Senatsentscheidung (IX ZB 73/08 z.V.b.) nach Einlegung der Rechtsbeschwerde eine Klärung gefunden. Danach setzt die Verwirklichung dieses Versagungsgrundes keine Beeinträchtigung der Befriedigung der Gläubiger voraus. Es genügt vielmehr, dass die Verletzung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nach ihrer Art geeignet ist, die Befriedigung der Insolvenzgläubiger zu gefährden. Bei dieser Sachlage ist im Streitfall mangels Mitteilung des Wegfalls einer unterhaltsberechtigten Person eine Verletzung der Auskunftspflicht gegeben, obwohl damit angesichts der keine Pfändung gestattenden Einkommensverhältnisse der Schuldnerin eine Beeinträchtigung der Befriedigung der Gläubiger nicht verbunden war.

2. Jedoch kann der Schuldnerin ein grob fahrlässiger Pflichtverstoß nicht vorgeworfen werden.

a) Die Rechtsprechung versteht unter grober Fahrlässigkeit ein Handeln, bei dem die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wurde, wenn ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben wurden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem aufgedrängt hätte. Bei der groben Fahrlässigkeit handelt es sich um eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung (BGH, Beschl. v. 9. Februar 2006 – IX ZB 218/04, WM 2006, 1438 Rn. 10; v. 27. September 2007 – IX ZB 243/06, NZI 2007, 733, 734). Der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt es, ob der Tatrichter den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat (BGH, Beschl. v. 9. Februar 2006, aaO Rn. 9; v. 27. September 2007, aaO Rn. 10).

b) Das Landgericht hat bei seiner – schematischen – Bewertung, dass ein Pflichtverstoß im Zweifel grob fahrlässig begangen werde, wesentliche Umstände des hier zu beurteilenden Einzelfalles nicht berücksichtigt.

aa) Schon im Ansatz kann der von dem Landgericht im Anschluss an Stimmen des Schrifttums (Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 290 Rn. 20a; HmbKomm-InsO/Streck, 2. Aufl. § 290 Rn. 36) vertretenen Auffassung nicht gefolgt werden, dass eine Verletzung der Auskunftspflicht im Zweifel mindestens als grob fahrlässig zu gewichten ist. Eine solche Beurteilung kann allerdings durchgreifen, wenn bei allgemeiner Fragestellung wesentliche Vermögensveränderungen mitzuteilen sind oder wenn das Auskunftsverlangen durch eine gezielte Fragestellung in einer Weise konkretisiert ist, die bei dem Schuldner keine Unklarheit über die von ihm zu erteilenden Angaben aufkommen lassen kann (AG Hamburg ZInsO 2001, 330, 332; MünchKomm-InsO/Stephan, 2. Aufl. § 290 Rn. 76; Römermann in Nerlich/Römermann, InsO § 290 Rn. 98).

bb) Eine derartige Spezifizierung des Auskunftsverlangens ist jedoch im Streitfall nicht gegeben, weil an die Schuldnerin lediglich die pauschale Frage nach “weiteren Vermögensveränderungen” gerichtet wurde. Diesem Begriff unterfallen ohne weiteres Veränderungen der Vermögensverhältnisse, die auf einer Erhöhung bzw. Verminderung der Erwerbseinkünfte oder dem Erwerb bzw. Verlust von Vermögenswerten beruhen. Er entbehrt aber aus der Warte eines mit insolvenzrechtlichen Begriffen nicht näher vertrauten Schuldners eines eindeutigen inhaltlichen Verständnisses, soweit Umstände gemeint sind, die sich wie die Minderung oder Vermehrung von Unterhaltspflichten oder von allgemeinen Unkosten nur indirekt auf die Vermögensverhältnisse auswirken.

Die Schuldnerin, die dem Insolvenzverwalter eine Bescheinigung über ihr die Pfändungsfreigrenzen unterschreitendes Arbeitseinkommen vorlegte, hat unwiderlegt ausgeführt, sie habe sich nicht zu einer Mitteilung über den Wegfall einer unterhaltsberechtigten Person verpflichtet gehalten, weil bei ihr auch unter Berücksichtigung geringerer Unterhaltslasten ohnehin nach der Pfändungstabelle keine pfändbaren Beträge vorhanden gewesen seien und darum keine Änderung der Vermögensverhältnisse eingetreten sei. Dieses (Fehl-)Verständnis ist vor dem Hintergrund des nicht näher spezifizierten Inhalts des Auskunftsersuchens durchaus begreiflich. Mit Rücksicht auf ihre Einkommensverhältnisse durfte die Schuldnerin mangels Leistungsfähigkeit (§ 1603 BGB) von einer bereits dem Grunde nach fehlenden Unterhaltspflicht ausgehen, so dass der Eintritt eines zuvor studierenden Sohnes in das Berufsleben nicht zum Wegfall eines “Unterhaltsberechtigten” führt. Da die Schuldnerin annahm, das Auskunftsbegehren zutreffend erfasst zu haben, war sie, wie der Senat für den Fall eines mehrdeutigen gerichtlichen Merkblatts entschieden hat (vgl. BGH, Beschl. v. 9. Februar 2006, aaO), nicht gehalten, sich bei dem Insolvenzverwalter über den genaueren Inhalt des Auskunftsverlangens zu erkundigen. Überdies ist nicht festgestellt, dass der Insolvenzverwalter auf eine solche Nachfrage sein Auskunftsverlangen in Richtung auf Unterhaltspflichten konkretisiert hätte.

cc) Außerdem hatte der Insolvenzverwalter die Schuldnerin am 16. Juli 2004 ausdrücklich um Auskunft über ihre Unterhaltspflichten gebeten; diesem Verlangen hat die Schuldnerin am 6. August 2004 entsprochen. In seinen späteren Anfragen hat der Insolvenzverwalter Unterhaltspflichten der Schuldnerin nicht mehr erwähnt, sondern lediglich um Verdienstbescheinigungen und die Mitteilung “weiterer Vermögensveränderungen” ersucht. Bei dieser Sachlage beruht die unvollständige Auskunft der Schuldnerin möglicherweise auch auf der unpräzisen Anfrage des Verwalters. Dies führt dazu, dass der Pflichtverstoß der Schuldnerin in einem milderen Licht erscheint (BGH, Beschl. v. 20. März 2003 – IX ZB 388/02, ZVI 2003, 170, 171 f; v. 23. Juli 2004 – IX ZB 174/03, WM 2004, 1840, 1841 f; v. 17. März 2005 – IX ZB 260/03, NZI 2005, 461; v. 7. Dezember 2006 – IX ZB 11/06, ZInsO 2007, 96, 97 Rn. 8).

3. Bei dieser Sachlage ist für die Annahme grober Fahrlässigkeit kein Raum und der Versagungsantrag als unbegründet zu erachten. Da keine weiteren Feststellungen zu treffen sind, kann der Senat in der Sache entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO).

Überraschungen

keine

AG Fürth, Entscheidung vom 07.05.2008 – 5033 IN 114/04 -
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 26.08.2008 – 11 T 4754/08

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