BGH IX ZB 64/12

Beschluss vom 16.01.14
Fassung InsO vor 01.07.14

Wer spielt

Um was es geht

Verlauf

Der in Strafhaft befindliche Schuldner hat am 23. Januar 2012 die Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens über sein Vermögen, die Erteilung von Restschuldbefreiung und die Stundung der Verfahrenskosten beantragt. Er hat ein Verzeichnis seiner Gläubiger und der gegen ihn gerichteten Forderungen 1 vorgelegt, in dem 50 Gläubiger aufgeführt sind. Die Höhe der Forderungen der Gläubiger Nr. 39 bis 48 ist als unbekannt angegeben, die Summe der Forderungen der übrigen Gläubiger mit rund 2,1 Mio €. Als Hauptgläubigerin ist die S. AG (fortan auch: Bank) mit einer Forderung von 1.747.277,60 € einschließlich Zinsen genannt. Das Insolvenzgericht hat den Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten zurückgewiesen. Mit seiner sofortigen Beschwerde hat der Schuldner vorgebracht, die Forderung der Bank beruhe zwar zu einem Teil von 758.569,73 € auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. Jedoch sei diese Forderung verjährt. Die Verjährungsfrist habe im Januar 2008 zu laufen begonnen, weil die Bank damals umfassende Kenntnis über den Täter und die Tatumstände gehabt habe. Die Verjährung sei durch die Erwirkung eines Mahnbescheids im Dezember 2011 nicht gehemmt worden, weil die Hauptforderung dort als Forderung auf Darlehensrückzahlung angegeben sei. Darlehensnehmerin sei aber die F. GmbH gewesen, nicht der Schuldner.

Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seinen Stundungsantrag weiter.

Ergebnis

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, §§ 6, 4d Abs. 1 InsO) und auch im Übrigen zulässig. Sie hat in der Sache Erfolg.

(…) Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die in § 4a InsO genannten Voraussetzungen für eine Stundung der Verfahrenskosten lägen grundsätzlich 2 vor. Die Verfahrenskosten könnten gleichwohl nicht gestundet werden, wenn die wesentlichen am Verfahren teilnehmenden Forderungen gemäß § 302 InsO von der Restschuldbefreiung ausgenommen seien. Dies sei hier bezüglich der Forderung der S. AG in Höhe des Teilbetrags von 758.569,73 € der Fall. Diese Forderung sei auch nicht offensichtlich verjährt (§ 199 Abs. 3 BGB). Im Blick auf die nominale Höhe der Forderung und die persönlichen Verhältnisse des Schuldners könne das Ziel der Stundung, dem Schuldner einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen, nicht erreicht werden.

(…) Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Voraussetzungen für die beantragte Stundung der Verfahrenskosten sind gegeben.

(…) Die Möglichkeit einer Stundung der Kosten des Insolvenzverfahrens soll auch Schuldnern, die diese Kosten aus ihrem Vermögen nicht aufbringen können, den Zugang zur Restschuldbefreiung und damit zu einem wirtschaftlichen Neuanfang eröffnen. Der Einsatz öffentlicher Mittel, der auch bei einer Stundung der Verfahrenskosten erforderlich ist, ist nur gerechtfertigt, wenn dieses Ziel erreicht werden kann (…). Das ist nicht der Fall, wenn die Restschuldbefreiung offensichtlich zu versagen ist. Um die Entscheidung über die Stundung an leicht feststellbare und für den Schuldner offensichtliche Tatsachen zu knüpfen und komplizierte Prüfungen zu vermeiden, hat der Gesetzgeber einen Ausschluss der Stundung nur bei Vorliegen der Versagungsgründe nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO vorgesehen (§ 4a Abs. 1 Satz 3 und 4 InsO (…) ). Diese Regelung ist jedoch nicht abschließend. Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine Stundung der Verfahrenskosten auch dann ausgeschlossen, wenn andere der in 5 § 290 Abs. 1 InsO genannten Gründe für eine Versagung der Restschuldbefreiung bereits in diesem Verfahrensstadium zweifelsfrei feststehen (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 – IX ZB 142/11, ZInsO 2011, 1223 Rn. 3 mwN). Darüber hinaus braucht eine Stundung dann nicht gewährt zu werden, wenn die Restschuldbefreiung aus anderen Gründen offensichtlich nicht erreicht werden kann, etwa weil der Schuldnerantrag unzulässig ist oder die wesentlichen am Verfahren teilnehmenden Forderungen gemäß § 302 InsO von der Restschuldbefreiung ausgeschlossen sind (BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2004 – IX ZB 72/03, WM 2005, 472, 473; vom 21. September 2006 – IX ZB 24/06, WM 2006, 2310 Rn. 10).

(…) Nach diesen Grundsätzen kann die beantragte Stundung der Verfahrenskosten nicht wegen des Umstands verweigert werden, dass nach dem eigenen Bekunden des Schuldners die Forderung der S. AG in Höhe eines Teilbetrags von 758.569,73 € auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Schuldners beruht und deshalb von einer späteren Restschuldbefreiung nach § 302 Nr. 1 InsO ausgenommen ist.

(…) Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese von der Restschuldbefreiung ausgenommene Forderung im Sinne der genannten Rechtsprechung den wesentlichen Teil der am Verfahren teilnehmenden Forderungen darstellt und ob bei dieser Beurteilung auf das Verhältnis der von der Restschuldbefreiung ausgenommenen Forderung zur Gesamthöhe der am Verfahren teilnehmenden Forderungen abzustellen ist oder – wie das Beschwerdegericht meint – darauf, ob die nominale Höhe der ausgenommenen Forderung einen wirtschaftlichen Neuanfang des Schuldners verhindert.

(…) Denn von der Restschuldbefreiung ausgenommene Forderungen rechtfertigen es nicht, die Stundung der Verfahrenskosten zu verweigern, wenn sie aus anderen Gründen nicht durchsetzbar sind. Das Gelingen eines wirtschaftlichen Neuanfangs hängt dann davon ab, dass bezüglich der übrigen Forderungen Restschuldbefreiung erlangt wird, was durch die Stundung der Verfahrenskosten ermöglicht werden kann.

(…) So liegt der Fall hier. Nach dem Vorbringen des Schuldners kommt ernsthaft in Betracht, dass die auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Schuldners beruhende Schadensersatzforderung der Bank über 758.569,73 € verjährt ist. Die Forderung geht nach dem zur Akte genommenen Strafurteil des Landgerichts Mühlhausen vom 25. August 2011 auf Handlungen des Schuldners in den Jahren 2006 bis Januar 2008 zurück. Nach Darstellung des Schuldners wurde die Bank im Januar 2008 umfassend über die Tatumstände und die Tatbeteiligung des Schuldners informiert. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) begann dann gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres 2008 und endete mit Ablauf des 31. Dezember 2011. Ob die Zustellung des von der Bank erwirkten Mahnbescheids am 31. Dezember 2011 die Verjährung der Schadensersatzforderung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB hemmte, erscheint fraglich. Gehemmt wird nur die Verjährung des im Mahnbescheid individualisiert bezeichneten Anspruchs. Der Anspruch muss so gegenüber anderen Ansprüchen abgegrenzt werden, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein und der Schuldner erkennen kann, welcher Anspruch oder welche Ansprüche gegen ihn geltend gemacht werden, damit er beurteilen kann, ob und in welchem Umfang er sich zur Wehr setzen will (BGH, Urteil vom 17. November 2005 – IX ZR 8/04, NJW-RR 2006, 275, 276 mwN). Jedenfalls an der zweiten Voraussetzung kann es hier fehlen. Der vom Schuldner in Fotokopie vorgelegte 9 Mahnbescheid bezeichnet den Grund der geltend gemachten Hauptforderung in Höhe von 1.666.944,65 € mit “Darlehensrückzahlung gem. HF DARLEHENSRUECKZHLG vom 24.11.10”. Dass gegen den Schuldner Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden sollten und worauf diese gestützt werden sollten, ergibt sich aus dem Mahnbescheid nicht.

(…) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts bleibt eine auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruhende Forderung bei der Beurteilung, ob die wesentlichen am Verfahren teilnehmenden Forderungen nach § 302 InsO von der Restschuldbefreiung ausgenommen sind, nicht erst dann außer Betracht, wenn sie offensichtlich verjährt ist. Die Stundung kann, wenn ihre übrigen Voraussetzungen vorliegen, nur dann verweigert werden, wenn offensichtlich keine Restschuldbefreiung erlangt werden kann. Eine solche klare und eindeutige Beurteilung scheidet bereits dann aus, wenn – wie hier – eine Verjährung der ausgenommenen Forderung ernsthaft in Betracht kommt. Kann die regelmäßige Verjährungsfrist nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB abgelaufen sein, kommt es auf die vom Beschwerdegericht erwähnte Höchstfrist des § 199 Abs. 3 BGB nicht an.

(…) Da die Voraussetzungen einer Stundung der Verfahrenskosten nach § 4a InsO nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts im Übrigen vorliegen, hat der Senat in der Sache selbst entschieden (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO).

(…) Über den bereits gestellten Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten für die Wohlverhaltensphase wird das Insolvenzgericht zu gegebener Zeit zu entscheiden haben.

(…) Über die Kosten war nicht zu entscheiden. Gerichtsgebühren sind weder im Beschwerde- noch im Rechtsbeschwerdeverfahren angefallen, weil die Rechtsmittel des Schuldners Erfolg hatten (Nr. 2361, 2364 KV GKG).

Überraschungen

keine

AG Gera, Entscheidung vom 02.02.2012 – 8 IN 63/12 -
LG Gera, Entscheidung vom 16.05.2012 – 5 T 137/12 – 14

Jetzt Kontakt aufnehmen!