BGH IX ZB 164/09

Beschluss vom 21.01.10
Fassung InsO vor 01.07.14

Wer spielt

Insolvenzgläubiger stellt Versagungsantrag, 2. Runde, Vorteil Gläubiger. Nordhorn, Osnabrück.

Um was es geht

Verlauf

Der Insolvenzschuldner hat im Insolvenzantrag einen Gläubiger mit einer Forderung von rund TEUR 14 nicht benannt. Ein anderer Insolvenzgläubiger beantragt deshalb im Schlusstermin die Versagung der Restschuldbefreiung unter Verweis auf § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO.

Im weiteren Verlauf verpasst der Insolvenzgläubiger (auch noch) eine Beschwerdefrist.

“Zur Begründung hat er – unterlegt durch eigene eidesstattliche Versicherung – vorgetragen, der zuständige Rechtspfleger des Insolvenzgerichts habe auf telefonisches Befragen jede Auskunft über das richtige Rechtsmittel gegen den Beschluss vom 28. Oktober 2008 und die hierbei einzuhaltenden Fristen unter Hinweis auf seine Neutralitätspflicht verweigert und ihn an einen Rechtsanwalt verwiesen.”

Ergebnis

Gibt der Schuldner im Forderungsverzeichnis gemäß § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO eine Forderung nicht an, ist nicht nur der Inhaber der nicht angegebenen Forderung, sondern auch jeder andere Insolvenzgläubiger befugt, einen Versagungsantrag gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO zu stellen

Dem Insolvenzgläubiger wird wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Fristversäumung ist unverschuldet (§ 233 ZPO), weil der Beteiligte wegen seiner Mittellosigkeit außerstande war, durch die Beauftragung eines beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts die Einlegungs- und Begründungsfrist einzuhalten.

“(…) Gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind auf die Anfechtung einer Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Diese Vorschrift ist – wie alle übrigen Vorschriften der Zivilprozessordnung zur Wiedereinsetzung – gemäß § 4 InsO auf das Insolvenzverfahren entsprechend anzuwenden. Die nachgeholte Prozesshandlung im Sinne des § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO war die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Versagungsantrags, die gemäß § 6, § 289 Abs. 2 Satz 1 InsO statthaft ist. Gegen die Entscheidung über eine solche sofortige Beschwerde ist gemäß § 7 InsO die Rechtsbeschwerde statthaft. Wendet sich der Beschwerdeführer nicht nur gegen die Verwerfung der Erstbeschwerde gegen die Sachentscheidung, sondern zugleich auch gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung, findet dagegen das einheitliche Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde statt (…). Ist – wie im vorliegenden Fall – die Hauptsacheentscheidung noch nicht ergangen, kann die Entscheidung über die Wiedereinsetzung allerdings nicht mit dieser zusammen angefochten werden. Dies hat jedoch nicht die Unstatthaftigkeit der lediglich gegen die Versagung der Wiedereinsetzung gerichteten Rechtsbeschwerde zur Folge. Die dem Gericht durch § 238 Abs. 1 Satz 2 ZPO eröffnete Möglichkeit, das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung von dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu trennen, kann – falls die Wiedereinsetzung versagt wird – dem Antragsteller das sonst gegebene Rechtsmittel nicht nehmen. Mit der Verfahrenstrennung wird bezweckt, die Zulässigkeit der nachgeholten Prozesshandlung vorab einer Klärung zuzuführen. Dann muss diese Vorfrage aber auch endgültig – das heißt unter Ausschöpfung des Rechtsmittelzuges – geklärt werden können. § 238 Abs. 3 ZPO steht nicht entgegen, weil diese Vorschrift nur die Gewährung der Wiedereinsetzung betrifft, nicht ihre Versagung. Es ist dem Antragsteller auch nicht zuzumuten, die Hauptsacheentscheidung, die ihm zwangsläufig nachteilig sein muss, abzuwarten.

b) Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde wird nicht dadurch berührt, dass im vorliegenden Fall das Landgericht bereits über das Rechtsmittel des Beteiligten gegen die Zurückweisung seines Wiedereinsetzungsantrags entschieden hat, statt eine Erstentscheidung zu treffen. Gegen die Zurückweisung eines im Verfahren der sofortigen Beschwerde nach §§ 6, 289 Abs. 2 Satz 1 InsO gestellten Wiedereinsetzungsantrags ist die Rechtsbeschwerde gegeben. Rechtsbeschwerdegericht ist gemäß § 133 GVG ausschließlich der Bundesgerichtshof. Folglich ist alleine er berufen, über das Rechtsmittel des Beteiligten zu entscheiden.

Der Zugang zu diesem gesetzlich bestimmten Gericht kann dem Beteiligten nicht dadurch entzogen werden (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), dass sich eines der Instanzgerichte die Kompetenz anmaßt, über ein Rechtsmittel gegen seine eigene Entscheidung zu befinden. Im vorliegenden Fall hat das Insolvenzgericht unbefugt selbst über den Wiedereinsetzungsantrag entschieden. Gemäß § 4 InsO, § 237 ZPO ist dies Sache desjenigen Gerichts, dem die Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung zusteht. Über die nachgeholte Prozesshandlung, mithin die sofortige Beschwerde gemäß §§ 6, 289 Abs. 2 Satz 1 InsO, hat nach § 4 InsO, § 572 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO, § 72 Abs. 1 GVG das Landgericht als Beschwerdegericht zu befinden. Folglich war es hier auch für die (Erst-)Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zuständig (…). Die dem Insolvenzgericht gemäß § 572 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 ZPO eröffnete Abhilfemöglichkeit ändert hieran nichts (…). Aus ihr folgt lediglich die Befugnis, dem Wiedereinsetzungsgesuch stattzugeben (…).

c) Die Rechtsbeschwerde ist auch gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist erforderlich, weil die Beschlüsse des Insolvenzgerichts vom 16. März 2009 und des Landgerichts vom 22. April 2009 den Beteiligten in seinem Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzen.

2. Die Rechtsbeschwerde ist überdies begründet. Dem Beteiligten ist die Wiedereinsetzung in die Frist der sofortigen Beschwerde gegen die Ablehnung seines Versagungsantrags durch den Beschluss des Insolvenzgerichts vom 28. Oktober 2008 zu gewähren. Die gegenteiligen Entscheidungen der Instanzgerichte haben den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzt, weil ihm der Zugang zur Beschwerdeinstanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert worden ist (…). Davon ist im Allgemeinen insbesondere dann auszugehen, wenn bei der Auslegung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung die Anforderungen überspannt werden (…).

Das war hier der Fall. Wer ein Rechtsmittel gegen eine gerichtliche Entscheidung einlegen möchte, ist allerdings grundsätzlich auch dann alleine für die Einhaltung der förmlichen Anforderungen verantwortlich, wenn er keine juristische Vorbildung hat. Auch ein Verfahrensbeteiligter, dem – mangels hinreichender Mittel – die Einholung von anwaltlichem Rechtsrat verschlossen ist, kann sich in zumutbarer Weise die erforderlichen Kenntnisse verschaffen, indem er sich bei dem Gericht, das die anzufechtende Entscheidung erlassen hat, nach den Rechtsmittelmöglichkeiten und – erfordernissen erkundigt (BVerf-GE 93, 99, 109). Gerade wegen letztgenannter Möglichkeit, die üblicherweise durch die Geschäftsstellen des jeweiligen Spruchkörpers und durch die Rechtsantragsstellen der Amts- oder Landgerichte geboten wird, können Verfahrensbeteiligte die Versäumung einer Rechtsmittelfrist regelmäßig nicht mit Unkenntnis von den förmlichen Voraussetzungen entschuldigen (…).

Im vorliegenden Verfahren hat der Beteiligte vergeblich versucht, vom Insolvenzgericht Auskunft zu erhalten, welches Rechtsmittel er innerhalb welcher Frist gegen den Beschluss vom 28. Oktober 2008 einlegen könne. Dort ist er an einen mit der Angelegenheit anscheinend schon zuvor befassten Rechtspfleger verwiesen worden, der eine Auskunft zu dieser Frage nicht gegeben hat. Diesen Vorgang hat der Beteiligte durch seine eidesstattlichen Versicherungen vom 2. April und 19. Mai 2009 hinreichend glaubhaft gemacht. Seine umfangreiche Schilderung ist lebensnah, frei von Widersprüchen und unsachlichen Angriffen. Der Senat kann dies selbst überprüfen. Das Revisions- oder Rechtsbeschwerdegericht ist bei der Anwendung der §§ 233 ff ZPO nicht an die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen gebunden, sondern zur selbstständigen Würdigung der Beweislage berufen (…). Soweit sich die eidesstattlichen Versicherungen des Beteiligten und die vom Senat eingeholte dienstliche Stellungnahme des zuständigen Rechtspflegers teilweise voneinander unterscheiden, sind diese Widersprüche nicht entscheidend. Auch wenn der Rechtspfleger die erbetene Auskunft nicht, wie der Beteiligte angibt, mit dem Hinweis auf seine Neutralitätspflicht abgelehnt haben sollte, sondern wegen eigener Unkenntnis, hätte er den Beteiligten entweder unaufgefordert an eine Stelle vermitteln müssen, die über entsprechende Kenntnisse verfügte, oder den Beteiligten bitten müssen, sich einige Zeit später noch einmal zu melden, und sich die Kenntnisse bis dahin selbst verschaffen müssen.

Der Beteiligte konnte sich über die Förmlichkeiten des in Aussicht genommenen Rechtsmittels auch nicht anderweitig kundig machen. Der Treuhänder hat trotz mehrfacher Bitte keinen Kontakt zu ihm aufgenommen. Ein um Auskunft gebetener Rechtsanwalt hat der Bitte um Beratung erst nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachkommen wollen. Diese aber haben Insolvenz- und Beschwerdegericht mit der vorgenannten Begründung verweigert. Der Beteiligte war bei unter diesen Umständen auf sich allein gestellt. Da es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass er über eine juristische Ausbildung verfügt, durfte das Insolvenzgericht nicht – wie im Nichtabhilfebeschluss vom 6. April 2009 geschehen – davon ausgehen, er könne die einschlägigen Regelungen in den Texten der Insolvenzordnung und der Zivilprozessordnung ohne Hilfe selbst finden.

Zunächst wird nunmehr das Insolvenzgericht darüber zu entscheiden haben, ob es der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss vom 28. Oktober 2008 abhilft. Die Begründung jenes Beschlusses vermag die Ablehnung des Versagungsantrags nicht zu rechtfertigen. Gibt der Schuldner im Forderungsverzeichnis gemäß § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO eine Forderung nicht an, ist nicht nur der Inhaber der nicht angegebenen Forderung, sondern auch jeder andere Insolvenzgläubiger befugt, einen Versagungsantrag gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO zu stellen (BGH IX ZB 120/05). Die Schuldnerin hat zumindest eine Forderung im Forderungsverzeichnis nicht angegeben. Der vom Treuhänder hervorgehobene Umstand, dass die betreffende Gläubigerin ihre Forderung nach Verfahrenseröffnung alsbald selbst anmeldete, vermag die Schuldnerin nicht zu entlasten. Entlastend hätte allenfalls eine Berichtigung durch die Schuldnerin selbst noch vor jener Anmeldung wirken können (vgl. BGH, Beschl. v. 17. September 2009 – IX ZB 284/08, NZI 2009, 777 Rn. 11). Das Insolvenzgericht wird daher nunmehr in eigener tatrichterlicher Würdigung darüber zu entscheiden haben, ob der Schuldnerin hinsichtlich der Lücke im Forderungsverzeichnis Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit anzulasten ist.

Überraschungen

keine

AG Nordhorn, Entscheidung vom 16.03.2009 – 7 IK 89/07 -
LG Osnabrück, Entscheidung vom 22.04.2009 – 5 T 269/09 -

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