BGH IX ZB 247/08

Beschluss vom 03.12.09
Fassung InsO vor 01.07.14

Wer spielt

Um was es geht

Verlauf

Die Schuldnerin beantragte am 1. Februar 2002 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen sowie Restschuldbefreiung. Sie trat ihre pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an dessen Stelle tretende laufende Bezüge für die Zeit von sechs Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den vom Gericht in diesem Verfahren zu bestellenden Treuhänder ab. Mit Beschluss vom 28. Februar 2002 eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren zum 1. März 2002 und bestellte den Beschwerdegegner zum Insolvenzverwalter.

Die Schuldnerin erhält von der Landesversicherungsanstalt S. ei- ne Alters- und eine Hinterbliebenenrente von monatlich 650 € bzw. 620 € sowie von der G. Berufsgenossenschaft eine weitere Witwenrente von monatlich 420 €. Den pfändbaren Teil aus den Renten der Landesversicherungsanstalt vereinnahmte der Verwalter während des laufenden Insolvenzverfahrens. Die Witwenrente der G. Berufsgenossenschaft wurde bis Juni 2007 aufgrund ausdrücklicher Einverständniserklärung der Schuldnerin auf das Verwalteranderkonto überwiesen. Seit August 2007 zahlt die G. Berufsgenossenschaft die Hinterbliebenenrente auf Anweisung der Schuldnerin auf ein Konto ihrer Tochter.

Am 3. April 2008 beantragte der Verwalter, nach § 850e Nr. 2 ZPO anzuordnen, dass die drei Renten zur Berechnung der nach § 850c ZPO pfändbaren Teile des monatlichen Gesamteinkommens zusammenzurechnen seien.

Mit Beschluss vom 6. Mai 2008 hat das Amtsgericht – Insolvenzgericht – diesem Antrag stattgegeben. Der nach dem so festgestellten Gesamteinkommen von 1.688,23 € gemäß § 850e ZPO pfändbare Teil des Einkommens sei von der Landesversicherungsanstalt S. auf das Anderkonto des Insolvenzverwalters zu zahlen. Der unpfändbare Grundbetrag sei in erster Linie aus der Altersrente zu entnehmen, § 850e Nr. 2 Satz 2 ZPO.

Die gegen diesen Beschluss erhobene sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin ihr Abweisungsbegehren weiter.

Ergebnis

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil sie vom Beschwerdegericht zugelassen worden ist, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 793 ZPO (vgl. BGH, Beschl. v. 5. Februar 2004 – IX ZB 97/03, WM 2004, 834, 835; v. 6. Mai 2004 – IX ZB 104/04, ZIP 2004, 1379; v. 6. Juli 2006 – IX ZB 220/04, KTS 2007, 353; v. 23. April 2009 – IX ZB 35/08, ZInsO 2009, 1072 Rn. 3). Hieran ist das Beschwerdegericht gebunden, § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, § 575 Abs. 1 bis 3 ZPO. In die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 4. Dezember 2008 Wiedereinsetzung gewährt.

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdegericht hat richtig entschieden.

1. Das Landgericht (dessen Entscheidung unter anderem veröffentlicht ist in NZI 2008, 508) meint, der Antrag des Insolvenzverwalters sei zulässig, insbesondere fehle ihm nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Denn auch nach Ablauf der Frist der Abtretungserklärung unterlägen die fortlaufenden Bezüge der Schuldnerin grundsätzlich dem Insolvenzbeschlag des Neuerwerbs nach § 35 Abs. 1 Alt. 2 InsO.

Zwar solle die sechsjährige Laufzeit der Abtretung auch zu einer Beendigung des Insolvenzbeschlags des Neuerwerbs führen, wenn das Insolvenzverfahren noch andauere. Dies gelte aber nur für den redlichen Schuldner, der eine Restschuldbefreiung auch tatsächlich verdiene. Dazu seien jedoch im vorliegenden Verfahren noch keine Feststellungen möglich gewesen, weil die Gläubiger noch keine Gelegenheit und Veranlassung gehabt hätten, Versagungsgründe geltend zu machen. Ein Entfallen des Insolvenzbeschlags allein wegen Zeitablaufs käme jedoch nicht in Betracht.

2. Diese Ausführungen halten im Ergebnis rechtlicher Prüfung stand.

Im Rechtsbeschwerdeverfahren wie schon im Beschwerdeverfahren geht es ausschließlich um die Frage der Auswirkungen des Ablaufs der Frist der Abtretungserklärung zum 1. März 2008 (zur Fristberechnung vgl. BGH, Urt. v. 13. Januar 2005 – IX ZR 33/04, ZIP 2005, 310). Sonstige Einwände gegen die Zusammenrechnung der Renten gemäß § 36 Abs. 1 InsO, § 850e Nr. 2, § 850 Abs. 2 ZPO werden nicht geltend gemacht und bestehen nicht.

Auch das Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO n.F. steht der vom Amtsgericht vorgenommenen Anordnung der Zusammenrechnung nicht entgegen.

Dem Insolvenzverwalter fehlte für den am 3. April 2008 gestellten Antrag nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Der pfändbare Neuerwerb der Schuldnerin kann auch noch nach Ablauf der Frist der Abtretungserklärung gemäß § 35 Abs. 1 Alt. 2 InsO in die Insolvenzmasse fallen. Etwas anderes gilt ab dem Ende der Abtretungsfrist des § 287 Abs. 2 InsO nur dann, wenn dem Schuldner Restschuldbefreiung zu gewähren ist. Solange nicht feststeht, ob Restschuldbefreiung rechtskräftig erteilt wird, hat der Insolvenzverwalter den Neuerwerb einzuziehen und zu sichern.

a) Ist die Frist der Abtretungserklärung abgelaufen, bevor dem Schuldner die Restschuldbefreiung angekündigt worden ist, muss schon vor Beendigung des Insolvenzverfahrens über die Restschuldbefreiung gemäß § 300 InsO entschieden werden. Dies entspricht der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (LG Hannover ZInsO 2009, 207; AG Hannover ZInsO 2009, 685; AG Göttingen NZI 2009, 779; FK-InsO/Ahrens, 5. Aufl. § 287 Rn. 89 f, § 300 Rn. 5a; HmbKomm-InsO/Streck, 3. Aufl. § 299 Rn. 4a; HK-InsO/ Landfermann, 5. Aufl. § 299 Rn. 9; Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl. § 287 Rn. 49; Kobialka/Schmittmann ZInsO 2009, 653 ff; von Gleichenstein ZVI 2009, 93 ff). Die Argumente der Gegenmeinung (AG Alzey NZI 2009, 567; Heinze ZVI 2008, 416, 417 ff) greifen nicht durch.

aa) Im Regelfall wird erst nach der Rechtskraft des Beschlusses über die Ankündigung der Restschuldbefreiung nach § 291 InsO das Insolvenzverfahren gemäß § 289 Abs. 2 Satz 2 InsO aufgehoben. Erst in dem Ankündigungsbeschluss wird der Treuhänder bestellt, an den die Ansprüche auf Bezahlung der Bezüge gemäß § 287 Abs. 2 InsO nach Maßgabe der Abtretungserklärung und gegebenenfalls der Zusammenrechnungsanordnung nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850e Nr. 2 ZPO übergehen. Erst dann beginnt die Wohlverhaltensperiode. Diese dauert nach der jetzt geltenden Fassung des Gesetzes sechs Jahre ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Ist bei Ablauf dieser Frist der Ankündigungsbeschluss noch nicht erlassen, entfaltet die Abtretung keine Wirkung. Allerdings fällt bis zu diesem Zeitpunkt der pfändbare Neuerwerb ohnehin gemäß § 35 Abs. 1 Alt. 2 InsO in die Masse und ist vom Insolvenzverwalter einzuziehen und zu verwerten.

bb) Wie das Beschwerdegericht zutreffend festgestellt hat, war es der Wille des Gesetzgebers, den Zeitpunkt der Erteilung der Restschuldbefreiung von der Dauer des eröffneten Verfahrens zu lösen.

Er hat mit dem Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung (InsOÄndG) vom 26. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2710) auf Vorschlag des Rechtsausschusses des Bundestages (BT-Drucks. 14/6468 S. 8 Nr. 15) § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO dahin geändert, dass der Lauf der Abtretungsfrist von sieben auf sechs Jahre verringert wurde und diese Frist nicht mehr erst bei Aufhebung des Insolvenzverfahrens, sondern bereits bei Eröffnung zu laufen beginnt. Begründet hat dies der Rechtsausschuss damit, dass die zuvor geltende Wohlverhaltensperiode von sieben Jahren als zu lang kritisiert worden sei. Die beiden beschlossenen Änderungen sollten zu einer deutlichen Erleichterung für den Schuldner beitragen. Die Festlegung des Beginns der Laufzeit der Abtretung auf die Verfahrenseröffnung beseitige die für den Schuldner völlig unbefriedigende Situation, dass sich in Einzelfällen das Insolvenzverfahren über einen Zeitraum von zwei Jahren erstrecke, ohne dass nennenswerte Vermögenswerte des Schuldners feststellbar wären oder er für die Verfahrensverzögerung verantwortlich wäre. Unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten sei es kaum vermittelbar, wenn in ähnlich gelagerten Fällen ein Schuldner deutlich später in das Restschuldbefreiungsverfahren gelange als ein vergleichbarer anderer. Insofern sei es geboten, die Laufzeit der Abtretung mit einem Ereignis beginnen zu lassen, das einerseits leicht feststellbar, andererseits von der Dauer des Insolvenzverfahrens, die auch durch die Gerichtsbelastung beeinflusst werde, unabhängig sei (BT-Drucks. 14/6468 S. 18).

Insbesondere aus dem geänderten Beginn des Laufs der Abtretungsfrist sowie der Begründung hierfür ergibt sich damit, dass der Zeitpunkt der Erteilung der Restschuldbefreiung von der Dauer des Insolvenzverfahrens unabhängig werden sollte. Der Gesetzgeber hat zwar nicht bedacht, dass das Insolvenzverfahren mehr als sechs Jahre dauern kann. Er hat jedoch hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sechs Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Restschuldbefreiung zu entscheiden ist.

cc) Ist nach Ablauf der Abtretungserklärung das Insolvenzverfahren noch nicht beendet, kann die Abtretungserklärung keine Wirkung mehr entfalten (vgl. MünchKomm-InsO/Stephan, 2. Aufl. § 287 Rn. 59). Eine Ankündigung der Restschuldbefreiung gemäß § 291 InsO entfällt ebenso wie die sich sonst anschließende Wohlverhaltensperiode. Damit entfallen für den Schuldner auch die Obliegenheiten, die erst nach Ankündigung der Restschuldbefreiung von ihm zu beachten sind (vgl. BGH, Beschl. v. 18. Dezember 2008 – IX ZB 249/07, NZI 2009, 191 Rn. 7 ff).

dd) Gemäß § 300 Abs. 1 InsO ist demgemäß nach Ablauf von sechs Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Antrag auf Restschuldbefreiung zu entscheiden, auch wenn das Insolvenzverfahren noch nicht abschlussreif ist. Nach der ursprünglichen Fassung des § 287 Abs. 2 InsO ging der Entscheidung nach § 300 Abs. 1 InsO zwar voraus, dass zuvor die Restschuldbefreiung angekündigt, das Insolvenzverfahren beendet und die Wohlverhaltensperiode durchlaufen war. Nach der genannten Änderung des § 287 Abs. 2 InsO gilt dies jedoch auch hinsichtlich der Beendigung des Insolvenzverfahrens nicht mehr (a.A. Heinze ZVI 2008, 416, 417).

Der von § 287 Abs. 2 InsO n.F. verfolgte Zweck, dem redlichen Schuldner sechs Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen, würde verfehlt, müsste in jedem Falle das Ende des Insolvenzverfahrens abgewartet werden, auf dessen Dauer der Schuldner kaum Einfluss hat.

ee) Mit Rechtskraft der Entscheidung, dem Schuldner Restschuldbefreiung zu erteilen, können die Gläubiger ihre Forderungen gemäß § 301 InsO zwar nicht mehr gegenüber dem Schuldner durchsetzen. Daraus ergibt sich aber kein Grund, der die Restschuldbefreiung hindern würde (a.A. AG Alzey aaO). Eine Verteilung des bis zum Ablauf der Abtretungsfrist in die Masse gefallenen Vermögens und Neuerwerbs bleibt möglich, denn der Insolvenzbeschlag bleibt insoweit bis zur Aufhebung des Verfahrens aufrechterhalten. Dies kann in der Entscheidung über die Restschuldbefreiung klargestellt werden (zutreffend AG Göttingen aaO).

ff) Den Gläubigern ist es zwar nicht möglich, die Versagungsgründe des § 296 InsO geltend zu machen. Denn die Obliegenheiten, die der Schuldner in der Wohlverhaltensperiode zu beachten hat, entstehen erst mit der Ankündigung der Restschuldbefreiung (BGH, Beschl. v. 18. Dezember 2008 aaO).

Sie können aber die Versagungsgründe des § 290 InsO geltend machen, die sich auf die Zeit vor und während des durchgeführten Insolvenzverfahrens beziehen. Problematisch erscheint insoweit lediglich § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO, denn die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners insbesondere gemäß § 97 InsO bestehen bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens fort. Insoweit kann die Gefahr nicht ausgeschlossen werden, dass nach Erteilung der Restschuldbefreiung im weiter laufenden Insolvenzverfahren der Schuldner seine Pflichten verletzen könnte (gegen eine Restschuldbefreiung deshalb Heinze aaO S. 418). Das Risiko, dass hierdurch der weitere Ablauf des Insolvenzverfahrens in relevanter Weise beeinträchtigt werden könnte, ist jedoch nicht hoch. Sechs Jahre nach Beginn des Insolvenzverfahrens wird der Bedarf an Auskünften und Mitwirkungshandlungen des Schuldners gering sein. Von einem Schuldner, der diese Pflichten bislang erfüllt hat -andernfalls ist gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO die Restschuldbefreiung zu versagen -, wird dies auch in Zukunft regelmäßig erwartet werden können, zumal im Hinblick auf das Vermögen, das ohnehin weiterhin dem Insolvenzbeschlag unterliegt. Schließlich hat das Insolvenzgericht die Möglichkeit des § 98 InsO, um die Pflichten des Schuldners durchzusetzen. Die Befürchtung, er könnte in Zukunft seine gebotene Mitwirkung einstellen, lässt es nicht gerechtfertigt erscheinen, alleine wegen dieser theoretisch möglicherweise aufkommenden Verweigerungshaltung des Schuldners in Einzelfällen über die Restschuldbefreiung generell nicht zu entscheiden. Der Gesetzeszweck des § 287 Abs. 2 InsO könnte sonst für die große Mehrzahl der redlichen Schuldner nicht erreicht werden. Hinsichtlich eines in Einzelfällen die weitere Mitarbeit nach Restschuldbefreiung verweigernden Schuldners könnte neben der Anwendung des § 98 InsO auch eine analoge Anwendung des § 303 InsO in Betracht gezogen werden.

gg) Auch § 289 Abs. 3 InsO steht einer vorzeitigen Entscheidung über die Restschuldbefreiung nicht entgegen. Allerdings kann nach dieser Vorschrift Restschuldbefreiung im Falle der Einstellung des Verfahrens nur erteilt werden, wenn nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Insolvenzmasse nach § 209 InsO verteilt worden ist und die Einstellung nach § 211 InsO erfolgte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass nach der vorzeitigen Entscheidung über die Restschuldbefreiung das Verfahren noch nach § 207 InsO eingestellt wird. Diese Einstellung unterbleibt zwar, wenn dem Schuldner die Kosten nach § 4a InsO gestundet wurden. Es ist aber möglich, dass eine gewährte Stundung aufgehoben wird.

Auch hieraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass das Gesetz immer ein bis zum Schluss durchgeführtes Insolvenzverfahren für die Restschuldbefreiung voraussetzt (a.A. Heinze aaO S. 418; AG Alzey aaO). Das ergibt sich schon daraus, dass im Falle der Einstellung des Verfahrens nach § 211 InsO die Restschuldbefreiung zulässig ist.

Die Fälle, in denen der Insolvenzverwalter erst nach Ablauf von sechs Jahren feststellt, dass die Masse nicht einmal die Kosten des Verfahrens deckt, dürften im Übrigen selten sein. Eher ist eine Aufhebung der Stundung der Verfahrenskosten in Betracht zu ziehen. In den Fällen des § 4c Nrn. 1 bis 3 InsO wird regelmäßig auf Antrag eines Gläubigers auch eine Versagung der Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 InsO zu erwägen sein. Die Zahl der Fälle, die dann noch zu einer Einstellung nach § 207 InsO führen könnten, erscheint gering. Das Risiko, dass es hierzu kommt, ist jedenfalls nicht so erheblich, dass deswegen in allen Fällen von der Verwirklichung des Gesetzeszweckes der Neufassung des § 287 Abs. 2 InsO abgesehen werden könnte. Lösungen für die genannten Einzelfälle wären gegebenenfalls auch hier auf anderem Weg zu suchen.

hh) Nach § 300 Abs. 1 InsO ist über die Restschuldbefreiung nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode zu entscheiden. Entfällt diese entgegen dem Regelfall aus den dargelegten Gründen und kann noch kein Schlusstermin abgehalten werden, muss die Anhörung der Insolvenzgläubiger, des Insolvenzverwalters anstelle des Treuhänders und des Schuldners in einer Form durchgeführt werden, die dem Schlusstermin entspricht (vgl. § 289 Abs. 1 InsO). Dies kann in einer Gläubigerversammlung oder gemäß § 5 Abs. 2 InsO im schriftlichen Verfahren erfolgen (vgl. Uhlenbruck/Vallender, aaO § 287 Rn. 49; FK-InsO/Ahrens, aaO § 287 Rn. 89 f).

Im Übrigen ist das Insolvenzverfahren fortzusetzen. Die Schlussverteilung, der Schlusstermin und die Aufhebung des Insolvenzverfahrens erfolgen später. Wird die Restschuldbefreiung rechtskräftig abgelehnt, kann das Verfahren ohnehin normal weitergeführt und zum Abschluss gebracht werden.

b) Wird die Restschuldbefreiung während des laufenden Insolvenzverfahrens erteilt, entfällt nach Rechtskraft dieser Entscheidung der Insolvenzbeschlag hinsichtlich des Neuerwerbs nach Ablauf der Abtretungsfrist.

Durch § 287 Abs. 2 InsO tritt eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen des § 35 Abs. 1 Alt. 2 InsO hinsichtlich des Neuerwerbs ein. Nur hierdurch kann der Regelungszweck des § 287 Abs. 2 InsO verwirklicht werden. Nach Ablauf von sechs Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens soll der Neuerwerb wieder dem Schuldner zur Verfügung stehen, wenn ihm Restschuldbefreiung erteilt wird. Andernfalls würden die Gläubiger zum Nachteil des redlichen Schuldners Vorteile erlangen, die das Gesetz nicht vorsieht.

aa) Die begrenzende Wirkung des § 287 Abs. 2 InsO hinsichtlich des Neuerwerbs tritt nicht generell in allen Fällen ein. Restschuldbefreiung wird nur dem redlichen Schuldner erteilt. Dies schließt es aus, die Begrenzung des § 35 Abs. 1 Alt. 2 InsO auch anderen Schuldnern zugute kommen zu lassen. Bei ihnen ist das Insolvenzverfahren zu Ende zu führen. Danach hat jeder Gläubiger auch wieder die Möglichkeit der Einzelzwangsvollstreckung gegen den Schuldner.

bb) Die beschränkende Wirkung des § 287 Abs. 2 InsO tritt zum Ablauf der Abtretungsfrist ein. Allerdings ist die Frage streitig. Nach einer Auffassung gebührt der Neuerwerb der Masse bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Rechtskraft der Entscheidung eintritt, mit der Restschuldbefreiung gewährt wurde (LG Hannover ZInsO 2009, 207, 208; Uhlenbruck/Vallender, aaO § 287 Rn. 50; Heinze ZVI 2008, 416, 419; Kobialka/Schmittmann ZInsO 2009, 653, 655).

Nach anderer Auffassung gebührt der Neuerwerb ab dem Zeitpunkt des Ablaufs der Abtretungsfrist dem Schuldner (AG Göttingen NZI 2009, 779; MünchKomm-InsO/Stephan, aaO § 300 Rn. 6 für den Fall der angekündigten Restschuldbefreiung; ebenso FK-InsO/Ahrens, aaO § 300 Rn. 4).

Der zuletzt genannten Meinung ist zu folgen. Allerdings ergibt sich schon für den Regelfall, in dem nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode Restschuldbefreiung erteilt wird, aus dem Gesetz nicht unmittelbar, ab welchem Zeitpunkt die von der Abtretung erfassten Beträge wieder dem Schuldner gebühren. Auch aus § 301 InsO ergibt sich insoweit nichts.

Aus dem Regelungszweck des § 287 Abs. 2 InsO erschließt sich jedoch, dass der Masse die Abtretung bzw. der Neuerwerb nach Ablauf der Abtretungsfrist nicht mehr zugute kommen soll, wenn Restschuldbefreiung erteilt wird. Andernfalls würden die Insolvenzgläubiger, deren Forderung durch die Restschuldbefreiung in eine Naturalobligation verwandelt wird (vgl. § 301 Abs. 3 InsO), Vorteile erlangen gegenüber dem Schuldner und den Gläubigern der nach § 302 InsO privilegierten Forderungen. Verschleppungsmaßnahmen einfacher Insolvenzgläubiger würden sich bei laufenden pfändbaren Einkünften des Schuldners unmittelbar zu ihren Gunsten auswirken. Eine derartige Verschiebung der Verteilungsregelung des Gesetzes ist abzulehnen.

cc) Ob dies für jeden Neuerwerb nach Ablauf der Abtretungserklärung gilt oder nur für denjenigen, der auch der Abtretungserklärung unterfallen würde, bedarf hier keiner Entscheidung. Der hier fragliche Neuerwerb in der Form von Renten wäre von der Abtretungserklärung zweifellos erfasst worden (HK-InsO/Landfermann, aaO § 287 Rn. 20; MünchKomm-InsO/Stephan, aaO § 287 Rn. 39; FK-InsO/Ahrens, aaO § 287 Rn. 47).

c) Solange nicht rechtskräftig über die Restschuldbefreiung entschieden ist, bleibt allerdings offen, ob der betroffene Neuerwerb in die Masse fällt. Der Insolvenzverwalter hat insoweit die Aufgabe, die mögliche Masse zu sichern und zu erhalten, damit sie gegebenenfalls für die Zwecke des Insolvenzverfahrens verwendet werden kann. Nur auf diese Weise kann für die Masse und damit auch für die Gläubiger der Neuerwerb für den Fall der Versagung der Restschuldbefreiung gesichert werden.

Steht nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung fest, dass der Neuerwerb nicht in die Masse gefallen ist, ist er an den Schuldner auszukehren.

d) Das Insolvenzgericht hat im vorliegenden Fall noch nicht, wie von Amts wegen geboten, über die beantragte Restschuldbefreiung entschieden. Jedenfalls bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung hat der Insolvenzverwalter demgemäß den pfändbaren Neuerwerb einzuziehen. Demgemäß steht ihm das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Zusammenrechnung der Renten zur Seite. Er hat allerdings auch beim Insolvenzgericht auf eine Entscheidung über die beantragte Restschuldbefreiung hinzuwirken, wenn nicht gemäß § 196 InsO ohnehin bereits die Schlussverteilung erfolgen muss. Das laufende Einkommen in Form von Renten steht der Schlussverteilung nicht entgegen. Ist die Verwertung der Insolvenzmasse im Übrigen beendet, müssen nach § 196 InsO die Schlussverteilung und der Schlusstermin stattfinden (Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 196 Rn. 5a ff; HmbKomm-InsO/Preß, aaO § 196 Rn. 7; MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl, aaO § 196 Rn. 2; FK-InsO/ Kießner, aaO § 196 Rn. 8; Nerlich/Römermann/Westphal, InsO § 196 Rn. 6, 7).

Überraschungen

keine

LG Dresden, Entscheidung vom 11.06.2008 – 5 T 507/08 -
AG Dresden, Entscheidung vom 06.05.2008 – 556 IN 273/02

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